LACHEN, LERNEN, LEIDEN
: Warum man ab und an ausgehen sollte

VON ENRICO IPPOLITO

Es muss einen guten Grund geben, damit L. und ich unsere Wohnung in Neukölln verlassen. Wir fahren dann aber nach Schöneberg – oder ist es schon Tiergarten? Egal. Ins Kumpelnest 3000, diese sagenumwobenen Kneipe. Dieser kleine Laden hat etwas Besonders. Hier treffen sich Menschen, die sich im Alltag nicht mal anschauen würden. Und dann diese Musik – irgendwo zwischen Milva und Roxette.

Samstagabend. L. und ich verlassen also das Haus, trinken Bier und erfreuen uns an den Bargästen: Dragqueens, Homos, Spießer. Besser geht nicht.

Das sieht auch der Guardian so – und nahm die Bar in seine Top Ten der Berliner Afterhoursbars auf – natürlich mit Gentrifizierungskritik: Weil rund um die Potsdamer Straße Galerien eröffnet hätten, reisten jetzt die ganzen Neuköllner an.

Das war 2011. Und 2014? Für die einen bleibt Neukölln Kreativhochburg. Die anderen umschwebt noch diese Idee des verruchten Kiezes. „Du traust dich abends mit Freund aus dem Haus? Du siehst auch aus wie einer von denen.“ Denen? Weil meine Welt sich immer noch in den 90ern abspielt und ich Menschen immer noch in Kartoffeln und Nichtkartoffeln unterscheide, antworte ich: „Kanake eben.“ Dann die Antwort: „Du bist Deutscher mit so bisschen Italienisch.“ Danke für die Identitätszuschreibung. Ich jongliere also zwischen Pseudokanake und Pseudokunstkid und überfülle Läden wie das Kumpelnest.

Interessanterweise sind es an diesem Abend vor allem L. und ich, die sich mit dem Travestiestar und Stammgast Gérôme Castell unterhalten. Wir trinken gemeinsam Kalte Muschi (Cola-Rotwein), lachen über sexuelle Anspielungen („Französisch habe ich damals auf den Knien gelernt in der französischen Zone“) und reden über den Angriff (Gérôme ist im September letzten Jahres attackiert worden und seitdem auf einem Auge blind). „Es gibt Schlimmeres. Ich habe noch zwei Beine und zwei Arme“, sagt Gérôme und streichelt dem Türsteher über den Schoss.

Die Kalte Muschi ist ausgetrunken, L.s und mein Bart werden noch schnell gekrault, dann kommt ein „Au revoir“, und Gérôme ist weg. Genau wegen solcher Menschen wie Gérôme verlassen wir das Haus – um zu lachen, zu lernen und zu leiden.