Die Ästhetik der Alten

BUCH Velo-Veteranen – wahrscheinlich waren sie schwergängig, sind aber immer noch verdammt schön. Ein Fotodesigner hat sie herausgeputzt und aufgenommen

Der velophile Weg war kein gerader, auf ihm waren Luxusgeschöpfe und Kuriositäten unterwegs

Für Florian Freund ist das Fahrrad eine geniale Erfindung. Es hat die Menschheit vorangebracht, ist aber äußerst selten mit Risiken und Missbräuchen verbunden. Gut, für die Schweizer war das Velo lange Zeit auch Militärfahrzeug, was jedoch niemand aufgeregt hat. Und vor allem kann das Fahrrad, so wie Freund es sieht, auch noch durch „hohen ästhetischen Wert“ begeistern.

Technische Ästhetik, darauf kommt es ihm an. Freund, ein Fotodesigner, der sein Handwerk versteht, inszeniert in seinem Buch „Veloevolution“ historische Fahrräder als Pin-ups. Aber nicht etwa in einer kulissenartigen Scheinrealität, sondern dargestellt als schlicht-elegante Technikschönheiten, die sich selbst genügen. 43 Modelle, und jedes zeigt sich im Großformat immer auf die gleiche Art: Vorderrad ordentlich nach rechts, Hintergrund hellgrau grundiert. Details werden auf zumeist kleineren Fotos nahegebracht. Klar, die Objekte sind zurechtgemacht, geputzt und gewienert, und manche sind mit nachgefertigten Reifen oder Lenkergriffen ausgestattet. Aber die modernen Zutaten sind im Anhang aufgeführt.

„Veloevolution“ ist ein Bilderbuch mit Bildungsanspruch. Die Auswahl der Räder beginnt tief im 19. Jahrhundert mit einem schmiedeeisernen Velociped und filigranen Hochrädern, allesamt mit Tretkurbel direkt an der Vorderradachse. Und es illustriert dann den notwendigen Abstieg aufs niedrige Sicherheitsrad mit Kettenantrieb und den so erst möglichen Aufstieg zum industriell gefertigten Massenprodukt. Deutlich wird: Der velophile Weg ins Heute war kein gerader, und auf ihm waren hin und wieder auch Luxusgeschöpfe und Kuriositäten unterwegs. Aber immer haben ihre Schöpfer Wert gelegt auf eine ansehnliche Gestalt – oder sich zumindest darum bemüht. Der letzte Kandidat der Vorstellungsreihe ist übrigens ein „Super Corsa“, ein 1983 der italienischen Nobelschmiede Cinelli entsprungenes Rennrad. Weißer Kunststoffsattel an Gestänge, dessen Farbton ins Rosafarbene spielt. Sämtliche Modelle stammen aus einer Sammlung, die Siegfried Stahl zusammengetragen und einige Jahre in seinem Privatmuseum präsentiert hat. Abseitig gelegen in der baden-württembergischen Provinz, musste er es 2011 schließen.

„Veloevolution“ ist ein Sachbuch. Und das liegt vor allem an den Texten, für die Matthias Kielwein als Koautor mitverantwortlich ist: Ausführlich und kenntnisreich unterfüttern sie das, was zuerst einmal ins Auge fällt. Aber eben in einem ziemlich sachlichen Stil, nüchtern, überhaupt nicht so opulent wie das, was Florian Freund entdeckt und offensichtlich mit Begeisterung fotografiert hat. Elegante Alte – so richtig zum Vorzeigen. PAUL DA CHALET

■ Florian Freund: „Veloevolution – Fahrradgeschichte, Entwicklung, Design, Hintergründe“. Maxime-Verlag, Leipzig 2014, 120 Seiten, 24,95 Euro