: Bei der Hochzeit gab’s Reiswaffeln
HAUSBESUCH Sie wohnen in einer alten Pulverfabrik und kämpfen gegen Thyssen-Krupp. Ute und Hubert in Rottweil
VON NADINE MICHEL (TEXT) UND YVONNE SEIDEL (FOTOS)
Rottweil, die älteste Stadt Baden-Württembergs, zu Hause bei Hubert Nowack (52), Ute Bott (47) und den beiden Töchtern, Felicitas (17) und Rosalie (14).
Draußen: Am Rande von Rottweil hat die Familie zusammen mit anderen Künstlern und Freischaffenden das Gelände einer alten Pulverfabrik eingenommen. Wie ein eigenes kleines Dörfchen liegen Backsteinhäuser idyllisch im Neckartal, umringt von Grün und Felsen. Vor der Treppe, die zum Eingang des Hauses führt, stehen Protestschilder, etwa gegen die Agrarindustrie oder mit der Forderung „Free Pussy Riot“. Vor dem Hauseingang liegt eine Terrasse zur Westseite, überdacht von Weinreben. Im hinteren Bereich steht ein Lehmofen (Ute: „von Gesellen, die bei Hubert in der Zimmerei gearbeitet haben“). Das kleine Vordach ist mit unterschiedlichen Ziegeln bestückt (Ute: „Bei uns wird immer das verwertet, was gerade da ist.“). Gelbe Hausfassade, weiße Fensterrahmen, dunkles Schieferdach. Auf der anderen Seite des Hauses ein Hühnerstall, den die Kinder in der 5. Klasse gebaut haben.
Drin: Im Haus wurden früher die Patronen gelagert, danach war es eine Trafostation. Als Hubert das erste Mal im Inneren stand, hat er sich gefragt, wie es wohl wäre, hier zu wohnen, „mit den Trafos hinter mir“. Drei Jahre dauerte der Umbau. In der riesigen Küche steht ein langer Holztisch, an dem 12 bis 14 Leute Platz nehmen können (Ute: „So eine richtige Wohnküche – hier spielt sich unser Leben ab“), die meisten Möbel sind Second-Hand. Hubert hat einen Ofen mit Steinen aus dem Rottenburger Dom gebaut (Ute: „Mein Mann hat immer die Sachen von Baustellen mitgebracht, die dort nicht mehr gefragt waren“). In der hinteren Ecke eine Tafel mit der Aufschrift: „Herzlich Willkommen in der unaufgeräumtesten, aber gemütlichsten Wohnung in Rottweil“. Eine Holztreppe führt in den zweiten Stock. Über der Treppe ein sichtbarer Stahlträger, der seit Jahren verkleidet werden soll, über den Fenstern wurden sogenannte Rundgauben eingebaut (Ute: „Das hat Gemütlichkeit reingebracht“). Im Wohnzimmer liegt vor dem Sofa ein Kuhfell, das sie von einem Lehrling geschenkt bekamen, sich heute als Veganer aber eigentlich nicht mehr reinlegen würden. Mitten im Badezimmer steht ein altes Sauna-Tauchbecken aus Holz, das aber mehr als Wäscheablage benutzt wird.
Wer macht was? Ute hat eine eigene Geigenschule, zu ihrem Leid muss sie meist nachmittags arbeiten. „Aber es macht unheimlich Spaß, die Kinder zu begleiten und zu sehen, was die plötzlich alles spielen können.“ Hubert hat eine Zimmerei und ist inzwischen Chef von 14 Mitarbeitern. „Angeödet bin ich höchstens, wenn ich im Büro sitzen muss und nicht raus kann.“ Felicitas und Rosalie gehen in die 11. und 9. Klasse einer Waldorfschule.
Wer denkt was? Ute engagiert sich mit großem Einsatz gegen den Bau eines Riesenturms in Rottweil. Die Firma Thyssen-Krupp will darin Hochgeschwindigkeitsaufzüge testen. Hubert ist mit seiner Firma ins Pulverloch umgezogen. Die Betriebsräume stehen, doch im oberen Stockwerk hat er noch eine Fläche von über 1.000 Quadratmetern, über deren Nutzung er nachdenkt – „vielleicht Wohnungen oder ein veganes Restaurant oder ein Hotel für Radler“.
Ute: Geboren im Ruhrgebiet, als sie acht war, zog ihre Familie nach Ludwigsburg, später nach Mannheim. „Ich kann gar nicht sagen, wo ich meine Heimat habe.“ Sie hat zunächst in Mainz studiert, auf der Suche nach einem guten Geigenlehrer landete sie in Trossingen, das 15 Kilometer von Rottweil entfernt liegt. Danach hat sie sich in Rottweil selbstständig gemacht.
Hubert: Geboren in Rottweil, Realschule, Zimmermannslehre. Anschließend Wanderschaft, unter anderem neun Jahre durch Europa. „Dann habe ich einfach einen Platz gebraucht, wo ich heimisch wurde.“
Das erste Date: Ute und Hubert lernten sich 1995 kennen, als Ute die ersten Räume in Rottweil für ihre Geigenschule mietete. Hubert sollte damals das Treppengeländer montieren. Bei der Eröffnungsfeier gab es den ersten Kuss, weil Hubert für seine Arbeit eine Rose bekam. Später gingen sie gemeinsam in die Sauna und abends zum Italiener (Hubert: „Da wurde es dann enger“).
Die Hochzeit: Fand geheim und im kleinsten Kreis statt. Felicitas und Rosalie waren dabei – statt Trauzeugen – und bekamen Reiswaffeln, damit sie still waren. Das genaue Datum (29. Dezember 2000) muss die Familie erst im Stammbuch nachgucken (Ute: „Das ist bei uns nicht ganz so wichtig“).
Der Alltag: Hubert ist um 5.30 Uhr der Erste in der Familie, der aufsteht. Felicitas und Rosalie stehen zwischen 6.15 und 6.30 Uhr auf. Jeden Morgen trinkt die Familie einen frisch gepressten Saft (Rosalie: „Bei uns wird es immer später, deshalb trinken wir nur noch den Saft und essen nix“). Die beiden Mädchen verlassen um 7 Uhr das Haus und kommen um 14 oder 17 Uhr von der Schule. Ute hat morgens eine relativ freie Zeiteinteilung. Mittags gibt es nach Möglichkeit ein gemeinsames Essen (Hubert: „Gekocht wird immer“). Hubert engagiert sich im Gemeinderat für die Grünen und geht jeden Montag zur Fraktionssitzung. Felicitas arbeitet im Weltladen, gibt auch Geigenunterricht und engagiert sich bei Amnesty International. Gegen 19 oder 20 Uhr gibt es ein gemeinsames Abendessen (Ute: „Wir haben die Zeit immer komplett ausgefüllt, bis wir ins Bett gehen“).
Wie finden Sie Merkel? Hubert: „Am Anfang habe ich gedacht, da kommt eine Frau, da bewegt sich was. Und sie hat sich immerhin schon acht Jahre lang gegen die ganze Meute durchgesetzt.“ Ute: „Ich finde daran nichts Bewundernswertes. Das ist politisch weit von mir entfernt.“
Wann sind Sie glücklich? Felicitas: „Wenn es keinen Streit gibt.“ Hubert: „Wenn ich ein Kunstprojekt durchziehen und mich damit selbst verwirklichen kann.“ Ute: „Ich bin fast jeden Abend glücklich, wenn ich etwas geschafft habe.“ Rosalie: „Also ich finde, die Fasnet ist das Coolste in Rottweil.“
■ Nächstes Mal treffen wir Michael Horbach in Düsseldorf. Sie wollen auch einmal besucht werden? Mailen Sie an hausbesuch@taz.de
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