Taiwan schreibt zwei NRW-Fabriken ab

Handyfirma BenQ macht zu: Arbeiter in den Werken Bocholt und Kamp-Lintfort per Videokonferenz in englischer Sprache informiert. IG Metall fürchtet um 2.000 Jobs: „Man kann gar nicht so viel essen, wie man kotzen möchte“

KAMP-LINTFORT taz ■ Während Politiker der schwarz-gelben Koalition gestern eine angebliche „Trendwende“ am NRW-Arbeitsmarkt feierten, kam die schlechte Nachricht. Die Handyfirma BenQ meldet Insolvenz an – rund 2.000 Arbeitsplätze an Rhein und Ruhr sind in Gefahr. Die 1.600 BenQ-Beschäftigten in Kamp-Lintfort wurden gestern Nachmittag auf einer Betriebsversammlung per Videokonferenz in englischer Sprache über die drohende Pleite informiert. Die knapp 400 Arbeiter am Standort Bocholt hatten die Nachricht aus der Münchner Firmenzentrale bereits zuvor über Radio und Fernsehen erfahren.

Nach der Betriebsversammlung in Kamp-Lintfort standen zahlreiche Beschäftigte vor dem Firmengelände und diskutierten die Entscheidung von BenQ. Der 33-jährige Stefan Schulze arbeitet seit zehn Jahren in dem Werk: „Meine Frau hat mich heute morgen angerufen und mir das erzählt – ich dachte erst, das wäre ein dummer Scherz.“ Eine Frau, die ihren Namen nicht nennen wollte, sagte niedergeschlagen: „Das muss ich erst einmal verdauen. Ich bin 57. Was soll ich da noch erwarten?“ Der 49-jährige Frank Siewert sagte: „Die sagen uns, es soll irgendwie weiter gehen.“ Ihm fehle aber der Glaube an solche Versprechungen.

„Man kann gar nicht so viel essen, wie man kotzen möchte“, sagte Ulrich Marschner, erster Bevollmächtigter der IG-Metall-Verwaltungsstelle Dinslaken. Der Gewerkschafter hatte mit Betriebsräten und Beschäftigten seit Jahren für den Erhalt der Arbeitsplätze am Niederrhein gekämpft. „Die Kolleginnen und Kollegen haben alles getan, um diesen Standort zu erhalten“, so Marschner. Mit ihrem Lohnverzicht von 30 Prozent hätten die Beschäftigten ihren Beitrag für die Wettbewerbsfähigkeit der Firma geleistet. Aber die taiwanesische Mutterfirma BenQ habe „eklatant versagt“ und die Handyproduktion schlecht gemanagt. „Ich wünsche Taipeh alles Schlechte“, so der IG-Metaller über die asiatische Unternehmensleitung.

2005 hatte die taiwanesische BenQ-Gruppe die Handysparte von Siemens übernommen – seitdem gehören die Werke Bocholt und Kamp-Lintfort zum Unternehmen. In Ergänzungstarifverträgen stimmten die Beschäftigten seitdem Lohneinbußen und Arbeitszeitverlängerung zu, um ihre Jobs abzusichern. Doch während die bei Siemens verbliebene Produktion von schnurlosen Telefonen in Bocholt eine positive Trendwende schaffte, war eine schlüssige Strategie der BenQ-Unternehmenschefs für die seit Jahren kriselnde Handyfertigung nicht zu erkennen. Restrukturierungen, euphorische Erfolgsmeldungen und Entlassungen wechselten sich ab. Noch im Frühjahr dieses Jahres hatte ein BenQ-Sprecher zur taz gesagt: „Seit dem Übergang der Handysparte von Siemens auf BenQ haben wir dort an den Standorten 155 Mitarbeiter eingestellt und noch etwa 120 offene Stellen zu besetzen.“ Davon war in den letzten Wochen nichts mehr zu hören. Im Gegenteil: Wegen steigender Defizite begann BenQ im Juli mit dem Abbau von Jobs in Kamp-Lintfort und Bocholt.

„Hier wurde ein Konkurrent übernommen, technisches Know-How abgerufen und jetzt werden die Menschen auf die Straße geschickt“, sagte der Bocholter IG-Metall-Vorsitzende Heinz Cholewa verbittert. „Das ist das Schlimmste, was unserer Stadt passieren konnte“, sagte Kamp-Lintforts SPD-Bürgermeister Christoph Landscheidt. Die SPD-Landtagsopposition forderte die NRW-Regierung auf, den BenQ-Beschäftigten „eine Perspektive zu geben“.

A. FLORIÉ, M. TEIGELER

wirtschaft und umwelt SEITE 8