Kunst macht wieder Politik

Auf dem 11. Art Forum, das heute beginnt, dominieren die 70er-Jahre – was den Stil der Kunst und das Alter der meisten Künstler angeht. In dieser Rückbesinnung zeigt sich auch ein gewachsenes Interesse an der Politik von damals

Die 70er-Jahre sind zurück – mit schonungslos realistischen Aktbildern, mit psychedelischen Collagen, wuchernden Materialskulpturen und kargen Fotos in Schwarzweiß. Nicht bloß als schickes Zitat einer jungen Künstlergeneration, die damals kaum geboren war, sondern auch im Original. Zum Beispiel am Stand der Galerie Anita Beckers. Dort zeigt ein frühes Foto von Anton Corbijn eine madonnenhaft zugeknöpfte Nina Hagen, der sich die Sängerin der Bands Slits nackt zur Seite gestellt hat. Denn auch Punk war ja ein Produkt der 70er-Jahre.

Keine Frage, der Trend zu Retro und Revival ist enorm auf dem 11. Art Forum, das heute in den Messehallen am Funkturm eröffnet. Vielleicht liegt es tatsächlich daran, dass bei den 121 Galerien aus 22 Ländern nicht bekannte Namen dominieren, sondern der Nachwuchs der End-Siebziger-Jahrgänge. Melancholie und Nostalgie sucht man dennoch vergebens. In der Rückbesinnung liegt vor allem ein Interesse an der Politik von einst. Wie funktionierte künstlerischer Aktionismus in Zeiten von Ökobewegung und RAF? Und was waren nochmal die Forderungen?

Auf einem neu inszenierten Leuchtkastenfoto der US-Künstlerin Andrea Bowers, die bei der Galerie Vielmetter ausstellt, fallen einige der Zeichen dieser Zeit ironisch zusammen: Unter dem Klo-Graffiti „Woman’s Lib“ steht eine Frau im Wildlederrock am Pinkelbecken, eingerahmt von einem Mann im Cowboy-Look und einem Anzugträger, dazu der Titel „Your whole fucking culture alienates me“ (Deine verdammte Kultur entfremdet mich). Das Bild ist ein Kommentar auf jene Polit-Kampfformeln, die als hippe kulturelle Codes zum Konsumgut geworden sind.

Aber handelt nicht das Art Forum genau davon? Kunst soll verkauft werden. Noch immer hat die Messe dabei Schwierigkeiten, sich ganz vorne im weltweiten Messebetrieb neben Basel, Miami und neuerdings der Londoner Frieze Art Fair zu positionieren. Während in der britischen Metropole am zweiten Oktoberwochenende die Superstars befeiert werden, findet man in Berlin nur wenige schillernde Namen, die auch auf dem Markt gut gehen – so wie der Maler Daniel Richter bei Contemporary Fine Arts, sein Leipziger-Schule-Pendant Matthias Weischer (Eigen + Art) oder die mit Fotos und Tuschebildern arbeitende Amelie von Wulffen (Galerie Crone/Andreas Osarek).

Andere Namen fehlen. Monica Bonvicini, die voriges Jahr den Preis der Nationalgalerie gewonnen hat, wird von der Mailänder Galerie Emi Fontana vertreten, die leider nicht zur Messe nach Berlin kommt. Aber auch für prominente Berliner Galeristen und Galeristinnen wie neugerriemschneider, Max Hetzler oder Barbara Weiss ist das Art Forum keine Adresse mehr, wenn es ums Geschäft geht.

Bleiben die Newcomer, die die Messe für sich entdecken. Gut ein Dutzend der 28 Galerien, die erstmals nach Berlin anreisen, sind im letzten Jahr gegründet worden. Dazu gehört Linn Lühn, die im Mai auf der Aachener Straße in Köln eröffnet hat und nun Alexej Koschkarows täuschend echte Raumeinbauten aus Holz, Gips und Polyester präsentiert. Dass der in Ulan-Bator geborene Künstler nach seinem Studium in Düsseldorf weiterhin bei einer Westgalerie ausstellt, passt zum Trend: Mittlerweile sind mit Zderzak (Krakau) und Deak (Budapest) nur noch zwei Galerien aus dem Ostblock auf dem Art Forum vertreten. Da gab es in den vergangenen zehn Jahren mehr Austausch.

HARALD FRICKE