Hisbollah sucht neue Strategie

Nach Kriegsende brechen die innenpolitischen Spannungen im Libanon wieder auf

KAIRO taz ■ Die Zeiten des innerlibanesischen Schulterschlusses während des jüngsten Krieges sind schon wieder vorbei. Dessen Ergebnis wird von den Libanesen inzwischen äußerst unterschiedlich interpretiert. Nirgends wurde die Spaltung des Landes deutlicher als auf zwei Großveranstaltungen in Beirut. Vergangenen Freitag hatte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah zur Feier des „göttlichen Sieges“ im Krieg gegen Israel geladen – 800.000 kamen. Am Sonntag nahm dann der christliche Politiker Samir Geagea vor zehntausenden Anhängern klar Stellung gegen die Hisbollah und forderte deren Entwaffnung.

Trotz des offen demonstrierten Triumphes steht die Hisbollah vor einer neuen Situation. „Der Krieg war ein Wendepunkt, in dem die Hisbollah seine militärischen Kapazitäten unter Beweis gestellt hat, diese aber nur ein einziges Mal zur Schau stellen konnte“, glaubt Rami Khouri, ein an der Amerikanischen Universität in Beirut lehrender jordanischer Publizist. Selbst Hisbollah-Verantwortliche geben zu, dass es keinen Weg zurück zur Vorkriegszeit gibt. Nach dem Kampf gegen die 27-jährige israelische Besatzung des Südlibanon, die vor sechs Jahren endete, und der zweiten Phase, in der sich die Hisbollah zum Herrscher des Südlibanon entwickelte, sucht die Schiitenorganisation für die jetzige dritte Phase eine neue Strategie. „Wir befinden uns in einer Übergangszeit, die Lage hat sich geändert und wir müssen unsere Form des Widerstands überdenken“, erklärte Scheich Naim Qassem, der zweite Mann Hisbollahs nach Nasrallah in einem Interview mit der überregionalen arabischen Tageszeitung al-Scharq al-Aussat.

Eine Möglichkeit wäre die Einbindung des militärischen Flügels der Hisbollah in die libanesische Armee, die seit dieser Woche erstmals mit 15.000 Mann im Südlibanon stationiert wurde. „Wenn Israel den Waffenstillstand verletzt, könnte die Hisbollah der Armee helfen, eine legitime Antwort darauf zu finden, und es wäre für die im Südlibanon stationierten UN-Truppen schwer, in diesem Fall zu intervenieren“, meint Hisbollah Expertin Amal Saad Ghorayeb.

Der UN-Truppe im Südlibanon, Unifil, bleibt derzeit nicht viel anderes übrig, als abzuwarten, für welche Strategie die Hisbollah sich entscheidet. Derzeit um die 4.800 Mann stark, soll sie auf 15.000 Soldaten aufgestockt werden. Im Kongo, der 225-mal größer ist als der gesamte Libanon und in dem 15-mal so viele Menschen leben, stehen gerade einmal 16.000 UN-Soldaten. Doch das Mandat bleibt schwammig. Die UN-Resolution 1701, auf die sich die jetzige Präsenz stützt, spricht zwar mit Blick auf Hisbollah davon, dass alle libanesischen Milizen gemäß früherer Resolutionen entwaffnet werden müssen, aber es findet sich kein Wort darüber, ob das die Aufgabe der UN-Truppen sein soll. UN-Offizielle betonen zum israelischen Missfallen immer wieder, dass die Entwaffnung Hisbollahs nicht zu ihrem Aufgabenbereich gehört und dass die Unifil nur den Waffenstillstand beobachten und ansonsten dazu da sei, die libanesische Armee zu unterstützen.

„Wenn die UN-Truppen sich dem entgegenstellen würden, was sich Hisbollah als zukünftige Präsenz und Strategie vorstellt, dann wird es früher oder später zu Auseinandersetzungen kommen“, warnt Elias Hanna, ein General der libanesischen Armee a. D. Die Menschen in den südlichen Dörfern des Libanon sind in Wartestellung, um zu sehen, wie sich das UN-Mandat entwickelt. Besonders Aussagen von Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass die Bundesmarine zum Schutze Israels zum Einsatz kommt, werden skeptisch gesehen. Die Position der Libanesen lassen sich in einem Satz zusammenfassen, der dort immer wieder zu hören ist: „Die Unifil ist willkommen, so lange sie zeigt, dass sie uns vor Israel schützt, nicht aber, wenn sie den Polizisten für Israel im Libanon spielt“. Hisbollah-Chef Nasrallah ließ nach den Aussagen Merkels ebenfalls erste Kritik über den Unifil-Einsatz verlauten: „Bisher haben wir noch nicht gehört, dass jemand hierher gekommen ist, um für die Sicherheit der Libanesen zu sorgen“, bemerkte er auf der Beiruter Siegesfeier und fügte in Anspielung auf Merkel hinzu: „Sie schämen sich, zu sagen, dass die den Libanon verteidigen, aber sie sind stolz darüber zu reden, dass sie Israel schützen wollen.“ KARIM EL-GAWHARY