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: Mädchen mit inneren Werten: Rufus Beck lädt 26 bekannte Autoren ein, Kindergeschichten zu schreiben

Die Marktforschung hat ja herausgefunden, dass immer mehr Erwachsene Jugendbücher kaufen und offenbar auch lesen. Warum sie das tun, weiß man allerdings nicht genau. Man kann da nur spekulieren: dass Erwachsene der Komplexität der für sie geschriebenen Literatur entkommen wollen; dass sie genug haben von einer Moderne, die sie für gefühlskalt halten; dass sie sich weigern, erwachsen zu sein und so weiter. Das würde auf der anderen Seite aber bedeuten, dass es in der Jugendliteratur um möglichst ungefilterte, authentische Gefühle geht, dass sie es auf die Reduktion von Komplexität anlegt und eher eskapistisch ist. Als Beleg für diese Thesen werden gerne die Harry-Potter-Bände genannt. Das ist vertrackt, denn diese lassen sich nicht deshalb so leicht verschlingen, weil sie Jugendbücher sind, sondern weil sie klassische Trivialformate bedienen.

Doch nach wie vor wird das ganz normale literarische Handwerkszeug bei Kinderbüchern gerne mal beiseite gelegt. Sogar der Schauspieler Rufus Beck, der Harry Potter fürs Hörbuch gesprochen hat, ist da anfällig. Obwohl er von sich sagt, er habe dabei kein Zielpublikum vor Augen, sondern mache einfach „Familienunterhaltung“, wärmt er das Klischee vom neugierigen Kind im Manne noch einmal auf. Beck hat 26 Gegenwartsautoren von Rang und Namen gebeten, eine Erzählung zu schreiben, die sie als Kinder gern gelesen hätten. Im Vorwort sagt er, wie er sich das vorstellt: dass Erwachsene nur „das Kind in sich bewahren“ müssten und die Kindergeschichten im Erwachsenenhirn schon darauf warteten, „befreit zu werden“. Eine schöne, romantische Vorstellung von Kindheit wie von Schriftstellerei, einfach nicht totzukriegen. Man hätte aber doch gerne endlich mal ein paar Beweise für die Behauptung, die Menschen verlören ihre Neugierde, sobald sie keine Kinder mehr sind.

Die meisten Autoren seiner „Geschichten für uns Kinder“ haben sich an Becks Schreibanleitung nicht gehalten, und das ist gut so. Sie haben ihre Charaktere ausgearbeitet und am Plot gefeilt, sie haben nicht nur gereimt, sondern auch gedichtet. Zum Beispiel André Kubiczek in „Vom Wolf, der arbeiten musste“. Was heißt: schon wieder muss er eine Oma fressen. Doch: „Viel lieber mochte er Gulasch mit Reis, / sehr gern auch Spaghetti mit Bolognese. / Nur zwei Sachen aß er um fast keinen Preis: / Omas und Stullen mit Harzer Käse.“ Eine Konstellation mit Potenzial. Sehr schön auch Gerhard Henschels Persiflage des Aufsatzes „Mein schönstes Ferienerlebnis“: Gleich am ersten Ferientag ein Sechser im Lotto, die Familie eh steinreich mit eigenem Jagdrevier im Garten, wo der Junge auf Safari gehen kann – trotzdem geht’s zur Abwechslung mal nach Afrika, wo er sich so nebenbei den Friedensnobelpreis verdient.

Ironie und böse Worte gibt es in diesen Kindergeschichten häufiger. Zum Beispiel wenn Jenni Zylka von einem „Mädchen mit inneren Werten“ erzählt oder Georg Klein seinen „mechanischen Hund“ an einer Autobahnraststätte auftreten lässt – oft sind die hässlichen die interessanteren Orte. Denn die Erwachsenen verleugnen sich nicht, nur weil sie für Kinder schreiben.

Und so mag man dem begnadeten Sprecher Rufus Beck seine halbgare Schwärmerei nachsehen, schließlich war er es, der sie alle versammelt hat: David Wagner, Pia Frankenberg, Uwe Tellkamp, Norbert Zähringer, Judith Kuckart, sogar Marlene Streeruwitz, die auf neun Seiten mehr Nebensätze formuliert als in ihrem gesamten bisherigen Werk. Leider setzt sie trotzdem auf das langweiligste aller Kinderbuchstilmittel: die Alliteration. Und eine unmissverständliche Moral von der Geschicht’ kann sie sich auch nicht verkneifen. Womit auch sie sich treu geblieben ist.

ANGELIKA OHLAND

Rufus Beck (Hg.): „Geschichten für uns Kinder“. Mit Illustrationen von Wolf Erlbruch. Rowohlt Berlin, 207 Seiten, 16,90 Euro