Volkswagen dreht das Rad zurück

Mehr malochen für langfristig sichere Jobs: Die 100.000 VW-Mitarbeiter müssen künftig statt 28,8 bis zu 34 Stunden arbeiten – ohne Lohnausgleich

AUS HANNOVER KAI SCHÖNEBERG

Um die Baumärkte in Wolfsburg könnte man sich Sorgen machen. Bislang waren sie stets gut besucht, wenn die VW-Arbeiter an ihrem freien Tag hier Material für das Basteln an Haus und Garten kauften. 50.000 arbeiten noch in der größten Autofabrik der Welt. Hier wird sich bald einiges ändern: Die 28,8-Stunden-Woche bei Europas größtem Autobauer dürfte ab November Vergangenheit sein. Dann sollen die 100.000 Beschäftigten in allen sechs westdeutschen Werken von Volkswagen in einem „Korridor“ zwischen 25 und bis zu 33 Stunden arbeiten, Mitarbeiter in der Verwaltung sogar bis zu 34 Stunden – ohne Lohnausgleich.

Mehr Maloche für langfristig sichere Jobs: Das ist das Ergebnis der zähen Tarifverhandlungen zwischen VW und IG Metall, die gestern in einem Hotel am Flughafen Hannover endeten. Übernächtigt traten die Matadoren nach 22-stündigem Verhandeln vor die Kameras, um für die Einigung zu werben. „In diesen sehr schwierigen Zeiten ist dies ein vertretbarer Kompromiss“, sagte IG-Metall-Verhandlungsführer Hartmut Meine. „Jeder muss länger arbeiten als bisher, das ist die harte Wahrheit“, erklärte VW-Personalvorstand Horst Neumann. Eigentlich hatten die VW-Bosse sogar 35 Stunden ohne Lohnausgleich gefordert.

Der Kern des Volkswagen-Konzerns, die Marke VW, schlingert. Im vergangenen Jahr fuhren die Werke in Wolfsburg, Hannover, Kassel, Braunschweig, Emden und Salzgitter einen Verlust in dreistelliger Millionenhöhe ein. Für die Bosse sind die hohen Arbeitskosten schuld. Beschäftigte bei VW verdienen etwa 20 Prozent mehr als ihre erfolgreichen Kollegen bei Audi, rund 30 Prozent mehr als die Arbeiter bei Renault. Deshalb hatte es vor den Verhandlungen harte Drohungen gegeben. 20.000 VW-Beschäftigte seien zu viel im Boot, hatte VW-Chef Bernd Pischetsrieder gewarnt – und bereits 13.000 mit Abfindungen und Vorruhestandsregelungen aus dem Konzern gelockt. Der als „Rambo“ verschriene VW-Markenvorstand Wolfgang Bernhard wollte sogar das Volumenmodell Golf aus dem schlecht ausgelasteten Stammwerk in Wolfsburg abziehen.

Gebetsmühlenartig wiederholte die IG Metall, der Lohnanteil am Gesamtpreis liege nur bei etwa 17 Prozent. Für die Krise bei VW seien falsche Produktionsabläufe und Managementfehler verantwortlich, so die Entwicklung des Luxusmodells Phaeton, das sich nur schleppend verkauft. „Der Golf gehört zu Wolfsburg wie der Eiffelturm zu Paris“, entgegnete Metaller Meine. Teilweise hat er gewonnen. Der neue, leicht modifizierte Golf soll laut Kompromiss ab 2008 im Stammwerk in Wolfsburg gefertigt werden, außerdem ein weiteres Modell. Auch im Emdener Werk soll neben dem Passat ein weiterer VW produziert werden, um Beschäftigung zu sichern. VW, so Meine, habe „tolle Autos in der Pipeline“. Am Donnerstag war im Autosalon in Paris die Wiederauflage des 70er-Jahre-Klassikers Scirocco präsentiert worden, der Sportflitzer „Iroc“.

Die Gießerei im Werk in Hannover, die VW sogar verkaufen wollte, bleibt mit leichten Schrammen erhalten: Etwa 550 der 1.250 Jobs werden „sozialverträglich“ abgebaut. Immerhin gilt der Tarifvertrag aus dem Jahr 2004 weiter, der für alle VWler Kündigungen bis 2011 ausschließt. Auch für die anderen Werke machte VW Produktzusagen. Zudem handelten die Gewerkschafter einen einmaligen Rentenzuschlag in Höhe von 6.300 Euro plus eine zusätzliche Erfolgsbeteiligung aus.

Andererseits winkt auch eine langsame Abkehr vom teuren Haustarif, der einst Arbeiter ins Zonenrandgebiet locken sollte: Die im Februar anstehende Tarifrunde fällt aus. Dafür bekommen VW-Arbeiter einen Einmalbetrag von 1.000 Euro. Außerdem soll der Lohn im Jahr 2008 nur wie der Flächentarif steigen. „Der Haustarif ist auf dem Pfad der Tugend“, freute sich VW-Vorstand Neumann. Die Arbeitskosten „landen jetzt bei der Größenordnung von Audi“.

Tatsächlich nähert sich VW der deutschen Auto-Normalität an: Bei Mercedes oder BMW werden 35 Stunden pro Woche gearbeitet, Opelaner müssen sogar bis zu 40 Stunden schuften, nur 35 werden bezahlt. Die VW-Beschäftigten hätten nun „ihren Beitrag zur Sanierung“ erbracht, sagte Meine. Und warnte „Hardliner“ wie VW-Markenvorstand Bernhard, in den ab Mittwoch anstehenden weiteren Verhandlungen den Kompromiss in Frage zu stellen: „Wenn irgendjemand im Vorstand meint, das torpedieren zu müssen, dann rappelt es im Karton.“

Was würde Peter Hartz zu den Eckpunkten sagen? Als der VW-Arbeitsdirektor 1994 die Vier-Tage-Woche einführte, wurde er als Retter von damals 30.000 bedrohten Jobs gefeiert. Hartz, der im vergangenen Jahr über die VW-Affäre stolperte, blieb gestern stumm. Sein alter Gewerkschaftskumpel, der IG-Metall-Chef Jürgen Peters, brachte die Einigung auf den Punkt: Es gebe eben „sinnvollere Wege, ein Unternehmen zu entwickeln, als plumpe Strategien der Werksschließung zu verfolgen“.