Berliner üben Schwabenstreich

PROTEST Sie sind nicht viele, aber sie sind laut. Mit Trillerpfeifen und Kochtöpfen demonstrieren Berliner Stuttgart-21-Gegner am Potsdamer Platz. Für sie steht fest: Sie gehen auf die Straße, bis das Projekt fällt

„Wir protestieren so lange, bis es einen Baustopp gibt“

EIN DEMONSTRANT

Das Grüppchen Demonstranten am Potsdamer Platz verschwindet fast zwischen den Hochhäusern. Rund 50 Menschen haben sich mit Transparenten und Trillerpfeifen vor dem Bahn-Tower versammelt, um ihre Solidarität mit den Demonstrierenden gegen den Bahnhofsneubau in Stuttgart zu zeigen. „Montagsdemonstration“ nennen die Stuttgart-21-Gegner ihre Aktionen, mit denen sie seit Mitte August auch in Berlin gegen das umstrittene Großprojekt in Stuttgart demonstrieren.

Gegen das Vorhaben, den dortigen Bahnhof unter die Erde zu verlegen, gibt es seit mehreren Monaten breite Proteste in der baden-württembergischen Landeshauptstadt. Die Berliner Aktivisten beschränken sich dabei nicht auf einen Protesttag in der Woche: Für alle, die montags keine Zeit haben, gibt es am Mittwoch eine weitere Gelegenheit zum Demonstrieren.

Kurz vor sieben treffen immer mehr Protestler am Potsdamer Platz ein. Man kennt sich, herzliches Händeschütteln. Der brutale Polizeieinsatz in Stuttgart hat sie bewegt. Um den Stuttgarter Bahnhof allein geht es hier schon lange nicht mehr. Es geht um Demokratie, um Politiker, die sich vom Volk entfremden.

Ein Ehepaar aus Ostberlin, Mitte 50, war bei den Montagsdemos in der DDR vor über 20 Jahren dabei. „Dafür sind wir damals nicht auf die Straße gegangen, dass es dann wieder so undemokratisch zugeht“, erklärt die Frau. „So brutal wie in Stuttgart war nicht mal die Volkspolizei bei den Protesten zur Wende.“

Polizisten beobachten das Geschehen aus ihrem Einsatzwagen. „Am Anfang waren es vier Wagen“, sagt einer der Organisatoren. Es waren allerdings auch schon mal mehr Demonstranten: 300 Menschen gingen noch Anfang Oktober am Montagabend auf die Straße. Mittlerweile scheint sich die Zahl bei mehreren Dutzend zu stabilisieren. „Wir protestieren so lange, bis es einen Baustopp gibt“, sagt Sebastian Greß aus Stuttgart, der beruflich in Berlin zu tun hat.

Eine Schwäbin, die schon seit längerem in Berlin arbeitet, möchte ihren Namen nicht verraten. Stuttgart 21 habe ihr Vertrauen in die Demokratie erschüttert. Sie will gehört haben, dass bei anderen Demonstranten plötzlich das LKA vor der Tür stand, nachdem diese ein Interview gegeben hatten. „Ich bin wütend, wie mit mir als Bürgerin umgegangen wird“, sagt sie. „Ich habe lange Zeit in Stuttgart gewohnt und gar nicht mitbekommen, was da gebaut werden soll. Es wurde nie richtig publik gemacht.“

Die bunte Truppe auf dem Potsdamer Platz beweist währenddessen Improvisationstalent. Eine Demonstrantin hat ihr Transparent an eine alte Radio-Antenne gebastelt, eine andere verwendet dafür einen Kochlöffel. Ein junger Mann hat auch einen Kochlöffel dabei, um auf einen Topf zu hämmern. Trillerpfeifen haben sie fast alle mit und manche haben die Vuvuzelas wieder entdeckt. Als der Schwabenstreich beginnt, geben sie alles, tröten und hämmern, so laut sie können, übertönen den Straßenlärm, nun drehen sich auch ein paar Touristen um. Eine Minute lang gibt es Krach, dann rufen die Demonstranten: „Oben bleiben, oben bleiben!“ Damit wollen sie ihrer Forderung, den überirdischen Bahnhof zu erhalten, Nachdruck verleihen.

Auf die Touristen, die den Platz hauptsächlich bevölkern, will der Funke nicht überspringen. Vielleicht liegt es auch daran, dass das Transparent mit dem durchgestrichenen Ortsschild etwas klein geraten ist, so groß wie ein Badehandtuch. „Schwabenstreich“ hat übrigens zwei Bedeutungen: So kann er für eine heldenhafte Tat stehen, aber auch für eine alberne und törichte Handlung. MARTIN RANK