„Bildung ist nur übers Internet zu schaffen“

AFGHANISTAN Der Exoffizier Bastian Kuhl ist so angerührt vom afghanischen Bildungshunger, dass er eine Fernuniversität gegründet hat. Studium am Afghan German Management College und im Internetcafé

■ war Offizier in Afghanistan. Heute ist er bei Boston Consulting und hat ein Ferienlernzentrum für das Land etabliert.

INTERVIEW ULRIKE WINKELMANN

taz: Herr Kuhl, wieso haben Sie eine Fernuniversität für Afghanistan gegründet?

Bastian Kuhl: Dreimal war ich in Afghanistan als Soldat, zuletzt als Chefredakteur des Radiosenders der Isaf-Truppen für Afghanen. In meinem ersten Einsatz hatte ich eine große Kiste mit Büchern dabei, um in BWL promovieren. Aber ich habe die Kiste nie aufgemacht, sondern mich mit Haut und Haaren auf Land und Kultur eingelassen.

Aber jetzt sind Sie bei Boston Consulting und betreiben eine Fernuni. Wieso?

Es hat mich unglaublich erschüttert zu sehen, dass meine afghanischen Redakteure genauso intelligent waren wie Sie und ich, aber nicht über eine strukturierte Informationsverarbeitung verfügten. Sie waren quasi chaotisch gebildet und haben ihre PS nicht auf die Straße gekriegt. Ich gab dann Abendkurse in BWL, die allen großen Spaß gemacht haben. Daraus ist später die Idee einer Fernuni geworden. 2006 habe ich mit ein paar Kameraden losgelegt. Inzwischen hat das Afghan German Management College knapp 400 Studierende.

Wer studiert bei Ihnen? Wer hat die 60 Dollar fürs Semester?

Die Studierenden zahlen ihre 60 Dollar großenteils selbst. Einige bekommen sie aber auch vom Arbeitgeber bezahlt, etwa einer UN- oder Nichtregierungsorganisation. Englisch und ein Internetzugang sind Grundvoraussetzung. Klar ist, dass wir dabei nicht die Ärmsten der Armen erreichen. Wir haben aber auch schon zwei Stipendiatinnen, die wir über Spenden studieren lassen können. Wir sind dabei, unser Stipendienprogramm zu professionalisieren, um vor allem weiblichen Studenten das Studium zu ermöglichen.

Der Aufbau Afghanistans wird davon abhängen, ob man die mehr als 80 Prozent ländliche Bevölkerung dafür gewinnt. Die erreichen Sie nicht, oder?

Der Bauer auf dem Feld studiert nicht bei uns. Ein Angebot für Kabul muss man auch nicht mehr schaffen, dort gibt es alles. Aber wir erreichen gerade auch mit dem Fernuni-Prinzip die jungen Leute in den mittleren und kleinen Provinzhauptstädten, wo es bereits Internetcafés gibt.

Wie kontrollieren Sie Ihre afghanischen Mitarbeiter und die Lehrinhalte?

Ich bin Vertrauensmensch und muss es für so ein Projekt auch sein. Die Lehrinhalte haben wir 100-prozentig im Griff, und unsere Mitarbeiter vor Ort machen gute Arbeit. Natürlich hat der ein oder der andere Student auch schon geschummelt, und wenn das aufflog, hat er die Prüfung nicht bestanden. Wir lassen die Studenten am Ende eines jeden Semesters komplexe Fallstudien bearbeiten, da müssen sie schon selber denken.

Die afghanische Regierung will Ihr College nicht akkreditieren. Warum nicht?

Wir haben mit dem Bildungsminister in Kabul gesprochen. Der will und kann derzeit nichts anerkennen, wenn es keine Präsenzveranstaltungen gibt – weil ein entsprechendes Gesetz bislang nicht existiert. Die Unesco setzt sich sehr für uns ein, und auch im Ministerium sind Leute, die wissen, dass die ungeheure Nachfrage nach höherer Bildung nur durch Internetangebote zu befriedigen ist.

Das College lebt also vom guten Ruf der Deutschen?

Genau. Die Qualität unserer Kurse hat sich aber auch schnell herumgesprochen. Der Kern der Studierenden waren die Bekannten meiner afghanischen Radio-Redakteure.

Welche Arbeitschancen wird im Herbst der erste Jahrgang haben, der den Abschluss macht?

Es wird dann nicht den großen Schnitt geben, dass alle sofort nach Europa verschwinden oder so. Einige der Studenten sind ja sogar schon Projektleiter geworden, sie sind eingebunden vor Ort. Einer gründet gerade eine Jugendzeitung, ein anderer will eine Autoimportfirma gründen. Ein Dritter will eine Teppichknüpferei aufmachen, die faire Löhne zahlen und bei Krankheit sogar Lohn fortzahlen.

Ein großes Problem ist, dass gut ausgebildete Afghanen bei internationalen Organisationen wie Nato, UNO oder NGOs anheuern – und so dem afghanischen Arbeitsmarkt fehlen. Können Sie das verhindern?

Wir können das nicht verhindern. Aber indem wir die Leute zu Unternehmensgründern ausbilden, wirken wir dem entgegen. Wir wollen auch Mikrokredite für unsere Leute einwerben. Dieser ökonomische Trend hat sich nach Afghanistan herumgesprochen. Und unsere Studenten sind die Ersten, die den perfekten Businessplan dafür aufstellen könnten.