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Ansturm der Kuschelbären

TIERWELT Waschbären lieben Berlin: es gibt jede Menge zu essen und tolle Quartiere. Viele Berliner lieben Waschbären – und sind gar nicht traurig, dass sich die Tiere flott vermehren

Wer etwas gegen den Waschbären unternehmen will, muss den Jäger rufen

VON MARIE-CLAUDE BIANCO

Zuerst dachte Irene Scheda, eine Katze husche durch ihren Garten. „Aber dann habe ich den geringelten Schwanz gesehen und das Gesicht mit dieser Maske. Total süß.“ Es war ein Waschbär, der der Pankowerin in den letzten Sommertagen einen Besuch abstattete. Und er trägt tatsächlich eine Maske, wenn auch bloß eine aus Fell.

Scheda kommt ins Schwärmen: „Für mich gibt es nichts Tolleres, als Tiere im eigenen Garten zu beobachten.“ Sie schildert begeistert, dass sie inzwischen schon mehrere Waschbären beobachten konnte – im Pflaumenbaum. Für die kleinen Raubtiere, auf deren Speiseplan auch Früchte, Nüsse und Samen stehen, ist Schedas Garten mit seinen Obst- und Walnussbäumen und einer kleinen Wasserstelle ein echtes Paradies.

Nachtaktive Allesfresser

Immer mehr Berliner begegnen in der Stadt den pelzigen Kleinbären. Kein Wunder, denn sie vermehren sich prächtig, seit sie in den 30er-Jahren aus Nordamerika nach Deutschland eingeschleppt wurden. Es wird vermutet, dass die ersten wild lebenden Tiere aus Gehegen von Pelztierzüchtern entkamen oder ausgesetzt wurden. Die Weibchen der nachtaktiven Allesfresser werden nach einem Jahr geschlechtsreif, bis zu sieben Junge bringen sie pro Wurf zur Welt.

Dass die Waschbären sich in Berlin sehr wohl fühlen, bestätigt Thorsten Wiehle, Sprecher der Berliner Forsten. „Die Tiere sind intelligent, haben keine natürlichen Feinde, das Nahrungsangebot ist riesig und die Auswahl an Unterschlüpfen enorm.“ Ihr Tagesversteck richteten sie gerne in Dachböden ein, wo sie vor der Witterung geschützt sind, so Wiehle.

Für viele Haus- und Gartenbesitzer ist das allerdings eine regelrechte Katastrophe. Die Waschbären hinterlassen bei der Futtersuche verwüstete Gärten und Terrassen, sie beschädigen die Dämmung von Dächern und verschmutzen mit ihrem Kot die Dachböden. „Gefährlich ist der Waschbär für den Menschen aber nicht“, weiß Wiehle. Er sei relativ scheu und spiele auch bei der Übertragung von Tollwut bisher keine Rolle. Da er zu den wildlebenden Arten zähle, sei das Füttern verboten. Ebenso wenig erlaubt ist die Haltung als Haustier. Laut Wiehle halten sich jedoch viele Leute nicht daran, obwohl bei Zuwiderhandlung sogar Bußgelder drohen.

Was aber tun, wenn die Belästigung überhandnimmt? Als Wildtier fällt der Waschbär unter das Jagdrecht – um ihm auf den Pelz zu rücken, bleibt den Geplagten nur die Möglichkeit, einen Jäger zu Rate zu ziehen.

In anderen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen hat man mit dem neuen Problembären bereits Erfahrungen gesammelt. Kreisjägermeister Ernst Friedrich Wille aus Göttingen fordert die Verfolgung mit Lebendfallen, schränkt aber ein: „Die Tiere sind mühsam zu fangen, es gibt keine Erfolgsgarantie.“ Fallen müssten zweimal täglich kontrolliert werden, so Wille, und „was am Ende darin steckt, ist in den meisten Fällen Nachbars Katze“. Deshalb könne man auf keinen Fall mit Totschlagfallen arbeiten.

In Göttingen hat die Waschbärpopulation solche Ausmaße angenommen, dass der Kreisjägermeister von einer Plage spricht. Er habe lange dafür kämpfen müssen, dass Aufzuchtstationen von Naturschutzgruppen nicht länger Waschbärjunge aufzögen. „Das ist völlig unsinnig. Wir wissen kaum der Lage Herr zu werden, und die päppeln neue Tiere heran.“

Andere halten gar nichts von Lebendfallen: Konrad Brockmann, Jäger aus Osnabrück, argumentiert ebenfalls mit dem Tierschutz. Er plädiert für Totschlagfallen, bei denen der Bär von zwei Metallbügeln erschlagen wird. Das sei „sehr tierschutzgerecht“, so Brockmann. In Lebendfallen gerieten die Tiere oft in Panik. „Am Ende brechen sie völlig erschöpft zusammen.“

In der Hauptstadt ist das alles laut Thorsten Wiehle kein Thema. Weder gebe es eine Plage, noch gebe es Pläne, gegen die Tiere vorzugehen. Wiehle bestätigt aber, dass „seit drei bis fünf Wochen täglich bis zu fünf Anrufe wegen Waschbären beim Wildtiertelefon eingehen“. Woran die plötzliche Häufung liege, könne man sich nicht erklären. Menschen seien aber sehr unterschiedlich in ihrer Wahrnehmung. Gerade wer naturnah aufgewachsen sei, empfinde den Waschbärbesuch sogar als Bereicherung. So sieht das auch Irene Scheda: „Ich bin völlig auf dem Tiertrip“, sagt sie. „Jeden Morgen in der Dämmerung warte ich gespannt darauf, ob ich die Waschbären sehe.“

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