nicht verpassen!: Deichkinder
„Die Menschen im Meer“, täglich 20.15 Uhr, Arte
Das Leben ist ein Kammerspiel. Hier draußen vor dem Deich, auf den letzten vier bewohnten Halligen, die das Meer den Menschen gelassen hat: Oland, Langeneß, Gröde und Hooge. Und auf der Besetzungsliste stehen nur wenige Namen. Fiede Nissen zum Beispiel, der Postschiffer, der abends die Makrelen räuchert. Oder Tina Legowski, die Lehrerin, die als allein erziehende, hochschwangere Mutter auf die Hallig kam. Und Frieda Kühn, die Langeneß nun neunzigjährig verlassen wird. Ins Altersheim auf dem Festland führt ihre letzte Reise mit der klapprigen Lorenbahn, die Langeneß und Oland bei Ebbe mit der nordfriesischen Küste verbindet. „Die Kinder werden alle bei Flut geboren und die Alten sterben alle bei Ebbe“, plaudert die ehemalige Hebamme aus ihrem Erfahrungsschatz. Gerade hat sich ihre Schwester an diese Regel gehalten.
Ein Jahr lang hat der Filmemacher Wilfried Hauke das Leben der Menschen auf den Halligen begleitet. Durch den Tag, durch den Jahreslauf. Arte zeigt seine melancholische und doch so lebensbejahende Dokumentation in dieser Woche immer zur besten Sendezeit. Noch bis Freitag, jeweils um 20.15 Uhr lädt der Sender zu einem Ausflug, der immer auch zu einer Zeitreise wird. Und das nicht nur in den wenigen Momenten, in denen historische Bilddokumente an die Sturmfluten und Sommerfrischler von gestern erinnern.
„Die Menschen im Meer“ erzählt von Menschen, die sich tatsächlich selbst genug sein müssen. Die jeden Mittwoch das alte Mensch-ärgere-dich-nicht-Brett aus dem Schrank holen und zu würfeln beginnen wie seit Jahrzehnten – die letzten drei Alten, die noch das vergessene friesische Platt sprechen. Und erzählt von Menschen, denen der Rest der Welt abhanden gekommen war. Wie Marius Legowski, Sohn der Lehrerin, der für das Abitur auf ein niedersächsisches Internat wechseln muss. Und der sich schwer tut unter so vielen Menschen. Vielleicht ist es aber auch nur der Abschied aus seinem Paradies, an dem der Elfjährige noch zu kauen hat.
Wer „Die Menschen im Meer“ gesehen hat, wird ihnen nachfühlen. Hat Haukes Film doch auch einen Sehnsuchtsort erschaffen, eine Traumwelt zivilisationsmüder Nächte – auch wenn selbst auf Langeneß die Babynahrung längst übers Internet bestellt wird. CLEM
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