Grüne streiten sich mal wieder über Steuern

GRÜNE Fraktionsvize Kerstin Andreae fordert einen Kurswechsel der Grünen in der Steuerpolitik. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner warnt seine Partei vor „Schnellschüssen“ im Europawahlkampf

BERLIN taz | Ein halbes Jahr nach der Bundestagswahl flammt bei den Grünen ein alter Streit neu auf. Die Vizefraktionschefin der Grünen im Bundestag, Kerstin Andreae, forderte im Handelsblatt einen Kurswechsel ihrer Partei in der Steuerpolitik: „Höhere Steuern sind nicht das Gebot der Stunde“, sagte sie.

Das Wahlprogramm der Grünen zur Bundestagswahl 2013 sah moderate Steuererhöhungen für Gutverdiener vor. Die Steuerdebatte überschattete den Grünen-Wahlkampf, das Thema gilt unter Realos als ein Grund für das schlechte Ergebnis.

Die Freiburger Abgeordnete Kerstin Andreae wagt nun den lange erwarteten Aufschlag aus dem Realo-Lager. Sie fordert, die Grünen müssten endlich „die Leistungsfähigkeit der Unternehmen stärker in den Blick nehmen“. Daher sei es an der Zeit, „sich zwischen den Konzepten für Vermögen- oder Erbschaftsteuer zu entscheiden, und insbesondere bei der Vermögensabgabe die Befürchtungen des Mittelstands ernstzunehmen“. Auch bei der kalten Progression will Andreae nicht nur den Steuerfreibetrag auf 8.500 Euro aufstocken, sondern auch eine Abflachung des Steuertarifs.

Der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, reagierte genervt und warnte vor „Schnellschüssen“. „Das ist ein Vorstoß zur falschen Zeit“, sagte er der taz. „Wir konzentrieren uns jetzt auf den Europawahlkampf.“ Für Grüne sei der Gerechtigkeitsanspruch selbstverständlich. „In keinem Land der Eurozone ist Vermögen so ungleich verteilt.“ Neben Subventionsabbau und einer vernünftigen Ausgabenpolitik sollten deshalb „auch starke Schultern“ ihren Beitrag leisten. Dazu sei „eine Beteiligung großer Vermögen und eine gerechte Einkommensteuer notwendig“.

Auch der schleswig-holsteinische Grünen-Politiker Rasmus Andresen, der dem Parteirat der Grünen angehört, warf Andreae „finanzpolitische Schnellschüsse“ vor und nannte ihre Vorschläge „unausgegoren“. Dieter Janecek, der bayerische Landesvorsitzende und Realo-Koordinator der Grünen im Bundestag, widersprach. Ein halbes Jahr nach der Bundestagswahl sei nun ein „guter Zeitpunkt“ gekommen, die Steuerdebatte neu zu führen, sagte er der taz. Die bisherigen Beschlüsse seien „nicht sakrosankt“.

Die Parteiführung hatte die Steuerdebatte aus dem Europawahlkampf heraushalten wollen. Auch beim Länderrat Ende Mai sollen zwar Programmdebatten angestoßen werden – die Steuerpolitik steht aber nicht auf der Agenda. ASTRID GEISLER