Aussage im Rhamadan

Ihre Rolle als Nebenklägerin und Zeugin vorm Landgericht bringt junge Muslima in Konflikt mit dem Fastengebot

Es bleibt so vieles unklar. Die Frage, wieso Nadjida A. wieder nach Deutschland gekommen ist, zurück in die Wohnung von Mirza M., lange nach der Tat, die sie ihm vorwirft. Ebenso die Frage ihres jetzigen Aufenthaltsstatus, drei Jahre nachdem ihre von M. vermittelte Ehe geschieden worden ist: Dass sie ihren damaligen Gatten ein-, zweimal gesehen hat und, dass er zirka 30 Jahre alt gewesen sei, das sind die Erinnerungen, die sie an ihn hat.

„Ich kannte ihn nicht“, sagt Nadjida A. vor der fünften Strafkammer des Landgerichts aus: Er habe in einer Wohnung in Zentrumsnähe gewohnt, sie weiterhin bei dem Libanesen M. Den wird sie in dem Verfahren bezichtigen, ein Nacktfoto an ihre Familie geschickt zu haben – eine Schande, die ein unüberwindliches Hindernis für ihre Heimkehr gewesen sei. In M.s Einzimmerwohnung war sie von September 1999 an mehrere Jahre untergebracht: Mit einem Dreimonats-Visum sei sie damals nach Bremen gekommen. Mit der Aussicht auf eine Stellung als Au-pair-Mädchen, vermittelt von M. Die Hoffnung zerschlug sich gleich nach der Ankunft, weil sie kein Deutsch spricht. Danach habe der Angeklagte sie vertröstet. Und nach Ablauf der Aufenthaltserlaubnis ihren Ausweis versteckt.

Mirza M., große braune Augen, weißes Hemd, hohe glatte Stirn, blickt an die Decke. Der Hauch eines Lächelns umspielt seine Lippen: Fassungslosigkeit ob der Vorwürfe? Oder Sarkasmus? Der Angeklagte verzichtet auf eine Wortmeldung. Viel, eigentlich alles wird von der Aussage der Nebenklägerin Nadjida A. abhängen. Davon, als wie verwertbar sie sich am Ende erweist. Wird man ihr glauben? Kann man ihr glauben?

Eine problematische Aussage. Vor allem verliert sich die zeitliche Abfolge in dichten Nebeln. Auch als der Vorsitzende Richter Reinhard Wacker vorträgt, dass die Eheschließung im Sommer 2001 war, die Scheidung im Februar 2003 eingetragen wurde, kann A. nicht angeben, wie lange sie verheiratet war. Extrem schwer fällt es zudem, die Tatzeit zu bestimmen: „War es eher im Herbst, oder im Sommer, oder im Winter?“, hilft die Kammer, sie einzukreisen, „war die Heizung an?“

Es war im Frühjahr, antwortet die junge Frau schließlich, vermittelt über ihren Dolmetscher, „März oder April“. Und war es in dem Jahr, in dem sie die Schutzehe eingegangen ist, oder in dem davor? „Ich weiß es nicht“, wird ihre Antwort übersetzt.

Mit dem westlichen Kalender hat A. Probleme. Sie weiß allerdings, dass Rhamadan ist, und sie hält sich ans Fastengebot. Dazu gehört auch die Enthaltsamkeit von unkeuschen Worten und Gedanken. Ob sie „noch ein Bild von der Tat im Kopf hat“ will das Gericht wissen. „Ich kann mich nicht erinnern“, sagt Nadjida A., „und wollte nicht daran denken.“ Sie bricht erneut in Tränen aus. „Ich versuche das zu vergessen.“ Gegenüber der Polizei und dem Untersuchungsrichter hat die 27-Jährige angegeben, vergewaltigt worden zu sein. bes