„Der eigene Pkw ist nicht mehr so wichtig“

CARSHARING Das Vorzeigebeispiel für bedarfsgerechte Mobilität entwickelt sich zu einer Boombranche

■ Willi Loose ist Geschäftsführer des Bundesverbands Carsharing e. V. (bcs), dem 90 der 110 deutschen Carsharing-Anbieter angehören. Darunter sind viele, die Carsharing mitentwickelt und professionalisiert haben, aber auch Schwergewichte wie die Deutsche Bahn, Hertz und Sixt, die sich ein Carsharing-Segment zugelegt haben und das ausbauen wollen.

■ Die bcs-Mitglieder repräsentieren rund 90 Prozent der 158.000 Nutzer in Deutschland. Diese zahlen in der Regel eine Anmeldegebühr und/oder einen monatlichen Fixbetrag und ansonsten nur die Kosten ihrer Fahrten, aufgeteilt nach Zeit und Kilometer. (hd)

taz: Herr Loose, auf der Weltausstellung in Schanghai präsentiert das Land Bremen noch bis Ende des Monats Carsharing als neue, umweltverträgliche Mobilität. Werden nun auch in China die Autos geteilt?

Willi Loose: Auf der Expo, am Stand der Bremer, ist vor ein paar Wochen das erste Carsharing-Unternehmen Schanghais vorgestellt worden, das erste in China überhaupt. Das Thema ist ausdrücklich auf Wunsch der Veranstalter ins Programm gekommen: Da könnt ihr uns was mitteilen, was wir noch nicht wissen.

Deutschland ist Vorreiter …

… aber nicht die Nummer eins in Europa. Bezogen auf die Bevölkerungszahl haben die Schweizer siebenmal so viele Nutzer. In Deutschland gab es Anfang des Jahres 158.000 Fahrberechtigte, denen in zirka 270 Orten 4.600 Fahrzeuge zur Verfügung stehen. Allerdings: Die Zahl der Nutzer ist hierzulande fast regelmäßig gestiegen, mit jährlich etwa 20 Prozent Wachstum. Das erwarten wir auch für dieses Jahr.

Wie lässt sich die Expansion erklären? Ist sie der Beweis für einen zarten Demotorisierungstrend, wie ihn Trendforscher ausgemacht haben wollen: Das eigene Auto ist nicht mehr um jeden Preis erstrebenswert?

Ich würde eher von einem verlangsamten Anstieg der Autozahlen sprechen, vielleicht von einem Stillstand. Wir werden in Zukunft nicht weniger Autos auf der Straße haben. Aber wir wissen aus soziologischen Untersuchungen: In bestimmten urbanen Kreisen, auch bei Jugendlichen, ist es nicht mehr so wichtig, sich sofort oder auf Dauer den eigenen Pkw zuzulegen. Für diese Menschen ist Carsharing eine Möglichkeit, über ein Auto zu verfügen, aber eben nur dann, wenn sie es brauchen. Sie wollen sich nicht mit lästigen Pflichten rund ums eigene Auto abgeben.

Wird diese ökologische Ausrichtung durch neue Anbieter verwässert? Mit Mu by Peugeot und der Daimler-Tochter car2Go wird Carsharing auch von Kfz-Herstellern angeboten.

Beide sind nicht Mitglied im bcs, dem Bundesverband Carsharing. Und aus unserer Sicht ist das auch kein Carsharing, allenfalls so etwas Ähnliches. Unser Verband hat Kriterien aufgestellt, Studien entnommen, die Carsharing als umweltfreundlich und nachhaltig einstufen: ein dezentrales Netz etwa, unterschiedliche Fahrzeugangebote, einen Zeit- wie einen Kilometertarif. Und das Angebot muss sich problemlos in den Alltag integrieren lassen, damit das Fahrzeug wirklich nur dann benutzt wird, wenn es benötigt wird. All das ist aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht unbedingt ein Vorteil, aber unsere Mitglieder richten sich freiwillig danach. Sie wissen, dass sie nur so ein umweltfreundliches und ein den Verkehr entlastendes Angebot auf die Straße stellen können.

Und die Carsharing-Modelle der beiden Hersteller?

Dass die zu Verkehrs- und Umweltentlastung führen, das ist nicht bewiesen beziehungsweise einfach nicht gegeben.

Also steckt dahinter die Strategie, übers Verleihen den Verkauf anzukurbeln, indem sie die Leute erst mal ordentlich anfixen?

Alle Hersteller machen sich momentan Gedanken, wie sie den Absatzrückgang stoppen, wie sie vor allem wieder junge Menschen als Kunden gewinnen können. Es geht zunehmend darum, Dienstleistungen rund ums Auto anzubieten. Insofern kann es cleveres Marketing sein, die eigenen Produkte nicht zu verkaufen, sondern zu vermieten.

INTERVIEW: HELMUT DACHALE