DIETER BAUMANN über LAUFEN
: Politik im Kraftraum

Soll man die Gesundheitsreform ganz schlapp angehen? Oder besser mit Schaum vorm Mund? Eine Handreichung

Was haben das Training und die Gesundheitsreform gemeinsam? Training ist eine wiederholende Tätigkeit, durch systematisches Vorgehen geprägt, mit dem Ziel, eine Handlung nach einer gewissen Zeit besser zu beherrschen. Die wiederholende Tätigkeit bei der Gesundheitsreform sind die Sitzungen, aber es scheint an Systematik und am Ziel zu fehlen. Von einer Handlung oder einer Verbesserung ganz zu schweigen. Und doch entdeckte ich bei einer Fortbildung zum Thema Krafttraining enorme Ähnlichkeiten mit der Gesundheitsreform. Vielleicht deshalb, weil beides irgendwie ein Kraftakt ist – und mit einer Kurve zu tun hat. Mit der Hill’schen Kraftverhältniskurve.

Nun erschrecken Sie bitte nicht, denn das Ganze ist recht harmlos und einfach zu erklären. Ein Diagramm stellte in einer Kurve dar, wie sich Geschwindigkeit und Gewicht zueinander verhalten. Wenn Sie einen sehr schweren Gegenstand mit größter Anstrengung nur ein einziges Mal hochstemmen können, müssen Sie dafür Ihre maximale Kraft einsetzen. Ist ein Gegenstand hingegen sehr leicht, wird es ihnen möglich sein, diesen Gegenstand sehr schnell hochzuheben. Rechts unten am Ende der Kurve im Diagramm war das maximale Gewicht eingetragen und oben links die maximale Geschwindigkeit.

Dazwischen bog sich die Kurve nach unten durch. Natürlich konnte ich den Ausführungen des Dozenten nicht immer folgen, allerdings waren einige Kommentare der Trainerexperten viel interessanter.

Die kamen aus unterschiedlichen Sportarten und warfen ihre Erfahrungen und Fragen immer wieder in die Runde. Beispielsweise die, ob durch einen guten Mix die Maximalkraft und die Schnelligkeit gleichzeitig zu verbessern sind. Zunächst ging es um die reine Ausführung. Ein Trainer, der allein der Statur wegen als Experte für Krafttraining zu erkennen war, stand auf und meinte: „Es ist doch ein Unterschied, wenn jemand wie eine ausgelutschte Leberwurst vor dem Gerät steht und maximales Krafttraining machen möchte oder wenn jemand mit Schaum vor dem Mund zur Hantel greift.“

Das Beispiel aus dem Sport mag ein wenig fremd sein, und ich sage nicht, dass Sitzungen um die Gesundheitsreform mit Schaum vor dem Munde geführt werden sollen. Auch kann ich mir nicht vorstellen, dass so eine Gesundheitsreform zustande käme, doch es verdeutlicht, was mit Wille möglich wäre, möglich ist. Beim Krafttraining bewegt man damit Gewichte.

Die Diskussion ging weiter und führte zur richtigen Mischung. Was ist kombinierbar? Schnellkraft, IK-Training, Kraftausdauer … Ich sage Ihnen, mir war schwindlig vor lauter Begriffen. Es ging um Zielsetzung und den richtigen Weg. Jeder hatte ein anderes Rezept. Beispielsweise soll das Stemmen von maximalen Gewichten und ein unmittelbar folgendes Schnelligkeitstraining kein Problem sein, doch Vorsicht: In umgekehrter Reihenfolge geht das nicht. Von einer Kontrastmethodenmode war in diesem Zusammenhang auch die Rede – genau damit scheinen ja auch die Politiker in Berlin an die Gesundheitsreform heranzugehen: mal maximales Gewicht, mal leicht, mal schnell, mal langsam.

„Ach, das könnt ihr doch alles vergessen“, meinte ein Boxtrainer und machte all meinen Verständnisfortschritten ein Ende: „Boxen ist wie das Leben, da zählt das alles nicht. Da hast du wissenschaftlich alles richtig gemacht. An alles gedacht. Zum Kraftaufbautraining die Maximalkraftmethode angewendet, zur besseren Schnelligkeit Seil gesprungen bis nachts um zwölf. Dann mit maximalen Gewichten geklotzt und danach, um die Kontrastmethode zu perfektionieren, dreimal durch den Ring gehechtet, kurzum: Du bist perfekt vorbereitet. Dann kommst du in die ausverkaufte Halle. Es stinkt nach Alkohol, Rauch und Schweiß, und du musst gegen einen Bauern antreten. Den ganzen Tag saß der auf dem Traktor, abends war er Rausschmeißer im Bierzelt. Drei Runden tänzelst du um den herum, und am Ende gibt er dir eine Ohrfeige, und du liegst am Boden. So ist das Leben.“ Eben.

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