: Mit Fußball lesen lernen
In den großen Stadien, über Vereine und Fanprojekte soll über Analphabetismus in Deutschland aufgeklärt werden
BERLIN taz ■ Man kann davon ausgehen, dass jeder Fußballinteressierte weiß, was Abseits, Foul und Strafstoß ist. Und ein Spiel lesen, das trauen sich auch die meisten Fans zu. Sicher ist aber ebenso, dass nicht jeder weiß, wie man Abseits, Foul und Strafstoß schreibt. Geschweige denn, wie es ist, sich in ein Buch zu vertiefen. Auch darüber wird gesprochen an diesen Tagen auf der großen Buchmesse in Frankfurt. Denn: Über vier Millionen Erwachsene in Deutschland können nicht richtig lesen und schreiben – sie gelten als funktionale Analphabeten.
Die Tatsache, dass diese Menschen mit Sicherheit auch in Fußballstadien gehen, macht sich der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung zunutze: Mit dem Projekt „F.A.N. – Fußball. Alphabetisierung. Netzwerk.“ weist er mit Hilfe des Fußballs auf das Problem hin. „Die Stadien sind Spiegelbilder der Gesellschaft“, erklärt Andreas Brinkmann, ein Mitarbeiter des Projektes, das sich auch auf der Buchmesse präsentiert. „In den Arenen treffen wir Betroffene, Angehörige, Bekannte sowie sämtliche Berufsgruppen, die möglicherweise mit Analphabetismus im Kollegenkreis konfrontiert sind.“ F.A.N. geht also nicht deshalb auf Fußballvereine, Fanclubs und Fanprojekte zu, weil dort verstärkt Menschen mit Lese- und Schreibdefiziten vermutet werden, sondern weil man durch die Popularität des Sports einfach viele Menschen erreichen kann.
Denn Aufklärung ist das eigentliche Ziel von F.A.N. Darum baut Andreas Brinkmann Netzwerke auf: Er spricht Vereine an, weist sie auf die hohe Zahl der Analphabeten hin und ermuntert sie, ihre Mitglieder über Ursachen und Auswirkungen von unzureichenden Lese- und Schreibkenntnissen zu informieren sowie Kontakte zu Volkshochschulen herzustellen. „Lediglich 20.000 Betroffene nutzen derzeit Kurse, um lesen und schreiben zu lernen“, berichtet Brinkmann. F.A.N. arbeitet auch direkt mit Analphabeten zusammen. Zum Beispiel in Form von Interviews, die Stadionsprecher mit Freiwilligen vor den Anpfiff einer Partie führen. „Da gehört natürlich viel Mut dazu, als Analphabet vor vielen Leuten Auskunft über seine schwierige Situation zu geben“, sagt Andreas Brinkmann. Doch sei es ein guter Weg, Betroffene zu erreichen. „Denn alles, was über Alphabetisierung in den Zeitungen steht, können diejenigen, die es angeht, ja nicht lesen.“
Fußball als Multiplikator also. Unterstützt wird F.A.N. unter anderem auch von bekannten FußballerInnen wie Frank Rost, Rafael van der Vaart, Patrick Owomoyela und Steffi Jones. Wie eingeschränkt Analphabeten tatsächlich sind, schildert Andreas Brinkmann anschaulich: „Selbst beim Fußball stößt man schnell an seine Grenzen, wenn man nicht lesen kann“, erklärt er. „Die Blöcke im Stadion sind mit Buchstaben gekennzeichnet, Tabellen, Ergebnisse, Spielberichte sind nicht zu entziffern. Und ein Bahnticket fürs Auswärtsspiel des Lieblingsvereins ist auch nur schwer ohne fremde Hilfe zu erwerben.“
Andreas Brinkmann betont den Angebotscharakter von F.A.N.: „Wir wollen niemanden zwingen, aber gerade im Bereich Fußball, in dem Betroffene häufig große Sachkenntnis haben, können wir sie auf ihre Schwäche hinweisen.“ In der Hoffnung, dass der Volkssport auch Lesen und Schreiben zu mehr Popularität verhilft. JUTTA HEESS
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