„Uns grüßt man nicht mehr“

DISKRIMINIERUNG Beim Elbinsel-Gypsy-Festival wird Arnold Weiß von seinem Großvater erzählen. Ein Gespräch mit ihm, seiner Mutter Inge Weiß und seinem Onkel Robert Mechau in der Beratungsstelle für Sinti und Roma

■ 26, Dachdecker, folgte seinem Vater Robert im Amt des Vorsitzenden des Landesvereins der Sinti in Hamburg

INTERVIEW DARIJANA HAHN

taz: Herr Weiß, Sie werden dieses Jahr auf dem Gypsy-Festival zum ersten Mal von ihrem Großvater Rigoletto erzählen. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Arnold Weiß: Es war so gewesen, dass man sagt, man weiß so vieles darüber, und es ist schade, dass sowas dann auch wieder in Vergessenheit gerät. Weil unsere Älteren haben uns davon viel und häufig erzählt, wie es denn damals war, praktisch gesehen, als Vorwarnung für das spätere Leben hin. Es war manchmal nicht schön, wenn sie das erzählt haben, aber doch notwendig in vielen Sachen. Das heißt, dass man nicht gleich jedem trauen muss. Irgendwie wird das auch weitergegeben, was die erlebt haben, verstehen Sie?

Was genau wird weitergegeben?

Ich sag’ mal, jeder Elternteil, der eine Erfahrung gemacht hat, gibt es seinen Kindern weiter. Und so ist es bei auch uns gewesen, damals, wie es anfing mit dem Holocaust. Wie sie weggekommen sind, wie es vorher war, wer das war, der sie weggebracht hat, das haben sie uns weitergegeben. Dass es manchmal der freundliche Nachbar war statt der böse Polizist, der dann mit dem Finger auf einen gezeigt und gesagt hat: „Das ist ein Zigeuner.“

Robert Mechau: Das Problem ist ja noch nicht zu Ende. Das wird ja andauernd immer wieder neu vor unseren Augen aufgebracht. Aus dieser Situation heraus kommt es, dass man die Älteren fragt: „Wie war das oder wie ist das oder was ist da geschehen?“ Und dann kommt heraus, dass man sieht, dass das, was geschehen ist, noch gar nicht von uns und der Mehrheitsgesellschaft erarbeitet worden ist. Und kein Miteinander erreicht worden ist. Deswegen auch die Beratungsstelle für Sinti und Roma, in der wir uns hier treffen.

Inge Weiß: Wissen Sie, mein Mann hat immer ein schönes Wort gesagt: „Junge, wir sind nicht befreit, wir sind nur Freigänger. Wenn wir uns nämlich outen, wer wir sind, dann wird uns genauso viel Gegenwehr entgegengebracht, wie es früher der Fall war.“ Wir werden nicht mehr ins Lager gebracht, werden heute aber genauso diskriminiert. Antiziganismus ist schlimmer denn je in der heutigen Zeit. Und deswegen haben sich die Jüngeren zusammengetan.

Robert Mechau: Deswegen muss es auch wieder so ein Plakat geben. Sonst hätten wir das gar nicht mehr gebraucht. (Hinter ihm hängt ein Plakat mit den Worten „Auch meine Oma mag Sinti und Roma“.)

Können Sie Beispiele für Diskriminierung nennen?

Inge Weiß: Wir haben vor einigen Jahren ein Haus gebaut im schönen Seevetal, wir wollten auch mal so leben wie die sogenannte Mehrheitsgesellschaft. Und dann kam nach sieben oder acht Jahren, wo wir da ganz normal gewohnt haben, der Film „Djangos Erben“. Und man hat uns gefragt, ob wir dazugehören. Und ich wollte mein Volk nicht mehr verleugnen und sagte ja, und seit da sind wir das „Pack“. Es ist nichts passiert, es ist nichts vorgekommen. Es ist nur herausgekommen, dass wir Sinti sind, und das hat schon gereicht. Uns grüßt man nicht mehr, und wir werden nicht mehr eingeladen.

■ 58, Mutter von Arnold, arbeitet bei der Beratungsstelle für Sinti und Roma, die ihr verstorbener Mann Robert gründete.

Robert Mechau: Das geht bis ins Wirtschaftliche.

Inge Weiß: Ja, genau, wir haben da eine Dachdeckerfirma gehabt, und seit wir uns geoutet haben, sind auch die Aufträge ausgeblieben. Alles andere kann Ihnen mein Sohn erzählen, weil der hat gearbeitet in der Sache.

Sie sind Dachdecker von Beruf?

Arnold Weiß: Ja, ich hab’ im Betrieb meines Vaters gearbeitet. Wir haben mal einen Schornstein repariert, ein Mann hat mir, als ich von der Leiter runterkam, 20 Euro in die Hand gedrückt und hat gesagt: „Mensch, Herr Weiß, schöne Arbeit, aber sagen Sie mal, mit der Familie Weiß, gehören Sie da auch der Gruppe der Sinti und Roma an?“ Da sag ich „Ja, ich bin Sinto, ich gehöre zu der Familie Weiß“, und dann, oh, mein Gott, hätte ich es mal nicht gesagt. Der Mann hat dann seine Gesichtsfarbe geändert und fragte mich: „Können Sie das denn überhaupt?“ Ich sagte: „Bester Mann, Sie haben mir grade noch einen Zwanziger zugesteckt, weil sie so zufrieden waren mit der Arbeit“, aber dann war die Arbeit plötzlich nichts mehr wert.

Sind Sie noch tätig in dem Beruf?

Nein, ich bin im Landesverein der Sinti und Roma tätig. Ich arbeite hier im Verein, weil ich gedacht habe, so kann das nicht weitergehen, irgendwer muss da mal was dagegen unternehmen. Und grade für unsere große Familie ist das meistens immer so gewesen, dass wir sehr oft auf Gegenwehr gestoßen sind.

Inge Weiß: Ich zeig’ Ihnen mal eine ganz offene Diskriminierung. Die hat dazu geführt, dass mein Mann Robert Weiß die Beratungsstelle gegründet hat. (Sie zeigt den Brief einer Versicherung, in dem der Versicherungsmakler angemahnt wird, dass er keine Sinti versichern soll.)

Robert Mechau: Das sind so die Sachen, die heute noch existent sind.

■ 66, Onkel von Arnold Weiß, ist stellvertretender Vorsitzender des Landesvereins der Sinti in Hamburg.

Gibt es Funken der Hoffnung?

Robert Mechau: Oh ja, die gibt es. Es gab immer Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft, die uns in schweren Zeiten geholfen haben.

Inge Weiß: Unsere Cornelia Kerth zum Beispiel ist ein solcher Funken, die als Mehrheitsgesellschafterin mit ganz viel Herzblut in unserer Beratungsstelle arbeitet, um nur eine von vielen anderen zu nennen.

Robert Mechau: Und es ist schön, dass unser Gypsy-Festival bereits Kult geworden ist, und dass es viele Leute gibt, die zum wiederholten Male kommen und sich schon darauf freuen. Und die sich mit uns über unsere beliebte Musik hinaus verbunden fühlen. Ja, und das ist genau das, was wir erreichen wollen!

■ Elbinsel-Gypsy-Festival, 11. und 12. April, Bürgerhaus Wilhelmsburg; 12. April, 17 Uhr: „Racke malprahl – sprich drüber: Enkel erzählen die Geschichte ihrer Großväter“