Aus den Häusern, auf die Straße

Drei Zwangsräumungen

Wo er das Zelt aufstellen wird, das seine Wohnung sein soll, wusste er am Freitag noch nicht

Am Freitag früh ist auf einmal der Hermannplatz gesperrt. Mit Blaulicht heulen Polizeiwannen heran, Passanten bleiben stehen. Nein, kein Unfall: Rund zweihundert Demonstrierende haben den Platz gestürmt, ein blaues Transparent voraus, und rufen im Chor: „Hohe Mieten, Zwangsumzug – davon haben wir genug!“

Kurz davor ist eine Wohnung in der Wissmannstraße am Hermannplatz geräumt worden. Als die Polizei den Mieter trotz einer versuchten Blockade von rund 250 Unterstützern aus der Wohnung schleppte, trugen diese ihren Protest spontan auf die Straße – bis die Polizei sie auf dem Kottbusser Damm stoppte.

Zwangsräumung, das war einmal etwas, das leise und diskret geschah, verschämt fast. Das hat sich geändert. Jetzt werden die Räumungen von Trommeln und Demonstrationen begleitet, Transparente flattern an den umliegenden Häusern. Diskussionen um Gentrifizierung und steigende Mieten, vor allem aber der organisierte Protest hat aus Zwangsräumungen ein Politikum gemacht, ein Symbol für eine Entwicklung in der Stadt. Was früher als Einzelfall galt, als selbstverschuldet, ist nun Symbol dafür, wer am Schnittpunkt von Sozialgesetzen, krisenbedingter Spekulation und geltender Rechtslage die Verlierer sind.

Auch die Räumung des erwerbslosen Mieters in der Wissmannstraße ist rechtlich nicht zu beanstanden. Er hat die Miete zu spät bezahlt, das reicht als Kündigungsgrund. Jetzt ist er obdachlos. Ein Teil seiner Sachen hat er bei Freunden untergebracht, den Rest auf die Straße gestellt. Wo er das Zelt, das seine Wohnung sein soll, aufschlagen wird, wusste er am Freitag noch nicht.

Es war nicht die erste Zwangsräumung diese Woche und auch nicht die erste, gegen die protestiert wurde. Über 100 Menschen blockierten am Donnerstag eine Zwangsräumung in der Reichenberger Straße in Kreuzberg, am Montag kamen rund 70 in die Jahnstraße in Neukölln. Ihnen würden derzeit viele Zwangsräumungen gemeldet, sagt Daniel Schuster vom Bündnis Zwangsräumung verhindern. „Manche Vermieter schrecken vor einer Räumung auch zurück, seit dagegen offen protestiert wird“, sagt er. Zugleich nehme zu der Druck auf die Mieter zu – bei Neuvermietung winken hohe Profite. Und Mieter, die bereit sind, nach einer Kündigung auszuziehen, würden schlicht nichts anderes finden. JULIANE SCHUMACHER