DAS NACKTE COWGIRL
: Beautiful hair

„That asshole is sueing me“, sagt sie

Auf den ersten Blick wirkt die etwa 70-jährige, kleine Hutzelfrau mit Ohrenwärmern, wirren Zotteln und türkisem Stirnband wie die personifizierte Spätfolge übertriebenen Rauschmittelkonsums im Kreuzberg der 60er Jahre. Doch dann höre ich, wie sie in breitem Amerikanisch auf die Kaffeeverkäuferin einredet. Diese ist sichtlich erleichtert, als ich die Aufmerksamkeit der alten Dame durch ein positives Körperattribut von ihr ablenke.

„Sweetheart, you got beautiful hair. Where do you get it done?“ Völlig verwirrt durch die in hiesigen Breitengraden unbekannte Kommunikationsform namens „Kompliment“ halte ich inne, obwohl ich vor dem Kaffee selten scharf darauf bin, Touristen mit Beauty-Tipps zu versorgen. „Are you in entertainment? Me, too!“ Sie komme aus New York und arbeite mit einer Künstlerin zusammen. Ob ich schon mal dort gewesen sei und den „Naked Cowboy“ kenne? Ich erinnere mich an ihn: eine muskelbepackte Touristenattraktion mit Stetson und metallisch glänzenden Unterhosen, der tagtäglich luftgitarreklampfend und herumschreiend über den Times Square hopst.

„That asshole is sueing me“, klagt die neue Bekanntschaft. Hat sie ihm seine Luftgitarre geklaut? Bevor ich fragen kann, weswegen man von einem nackten Cowboy, der gar nicht richtig nackt und offenkundig geistesgestört ist, verklagt wird, drückt sie mir einen Flyer in die Hand und humpelt los gen Fitnessstudio. „Gotta do some workout. Bye, Honey!“

Immer noch verwirrt trinkt Honig daraufhin ihren Kaffee und studiert den Zettel. „The Naked Cowgirl“ steht da. Drunter prangt ein Foto meiner neuen Bekanntschaft, faltig, barbusig, mit Glitzerherzchen auf den Nippeln, dazu glitzerblauer Stetson und glitzerblaue Gitarre. Sie tritt gemeinsam mit Peaches in Berlin auf. Kein Wunder, dass der nackte Cowboy böse auf sie ist.

ULLA ZIEMANN