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: Die Rückkehr des zweiten Mädchens

Zwei Frauen hatte Helmut Kohl erwählt, um gegen das dräuende Ende traditioneller Frauenbilder zu kämpfen: Angela Merkel, Familienministerin 1991–94, und ihre Nachfolgerin Claudia Nolte. Erstere ist heute Kanzlerin, die zweite weitgehend vergessen. Sie könnte allerdings bald als Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern zurückkehren.

Gestern begannen im nördlichen Bundesland die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und CDU. Obwohl es zunächst um inhaltliche Fragen gehen soll, werden in Schwerin natürlich auch die Personalien debattiert. Die CDU wies die Möglichkeit, Nolte könne Sozialministerin werden, zwar gestern als „bloßes Gerücht“ zurück, aber die gebürtige Rostockerin forderte vor der Wahl ein „ehrgeiziges Familienprogramm“. Das wiederum passt zu den Plänen des Spitzenkandiaten Jürgen Seidel, der von einem „Familienland“ an der Ostsee träumt.

Über das Edle und Schöne an der Familie redete die geschiedene Mutter eines Sohnes in ihrer Zeit als Ministerin gern. Um Themen wie geschlechtliche Gleichberechtigung machte Nolte hingegen einen möglichst großen Bogen. Als gefügige Streiterin für konservative Werte erfreute sie ihren Ziehvater Helmut Kohl. Wo ihre Vorgängerin Angela Merkel ab und an Widerspruch gegen den Überkanzler wagte, schwieg Nolte. Der fehlende Wille zum Widerstand unterschied die einst jüngste Ministerin Deutschlands von der heutigen Kanzlerin Merkel. Ansonsten haben die beiden einiges gemeinsam: Sie kommen aus Ostdeutschland, gar noch aus dem gleichen Bundesland, und aus kirchlichen Elternhäusern, beide studierten naturwissenschaftlich-technische Fächer – Merkel Physik und Nolte Kybernetik. Und sie machten beide den gleichen großen Fehler: zu viel Ehrlichkeit bei der Mehrwertsteuer.

Im Wahlkampf 1998 ging es für die CDU unter Kohl um alles, Rot-Grün hatte echte Chancen, zu gewinnen. In dieser prekären Situation plauderte Nolte auf einer Veranstaltung im südthüringischen Suhl aus, die CDU wolle die Mehrwertsteuer erhöhen. Auf erstaunte Nachfragen antwortete Nolte, sie wolle „im Wahlkampf ehrlich sein“. In dem darauf folgenden wochenlangen Tumult versuchte die Union das Steuer-Statement als „Versprecher“ zu verniedlichen, während die Opposition die Ministerin als unbedarft verhöhnte. Diese verlor ihr Direktmandat in Thüringen und die Union die Wahl. Heute arbeitet Nolte für die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung in Serbien. Ihrer Rückkehr steht die Debatte um eine Erhöhung der Mehrwertsteuer nicht mehr entgegen. Die hat Angela Merkel inzwischen durchgesetzt. DANIEL SCHULZ