Schlimmer als Afghanistan

IRAKKRIEG Die Internetplattform Wikileaks stellt fast 400.000 geheime Dokumente des US-Militärs ins Netz. Darin wird die Grausamkeit des Krieges deutlich. Die USA reagieren empört auf die Veröffentlichung

„Wikileaks setzt weiter das Leben unserer Soldaten aufs Spiel“

HILLARY CLINTON, US-AUSSENMINISTERIN

LONDON/BAGDAD/BERLIN dpa/dapd/taz | Fast 400.000 bislang geheime US-Dokumente stellte die Internetplattform Wikileaks ins Netz. Die Militärprotokolle geben einen detaillierten Einblick in die Gewalt und die Grausamkeiten des Irakkriegs. Es ist die größte Enthüllung in der US-Militärgeschichte. Die Regierungen des Iraks und der USA verurteilten die Veröffentlichung.

109.000 Tote, davon weit mehr als 60.000 Zivilisten, 15.000 bisher unbekannte Opfer, das sind die reinen Zahlen, die die Dokumente ausweisen. Diese Zahlen umfassen alle Opfer des Krieges, also auch Menschen, die durch Kidnapping, Morde oder Anschläge starben.

Allein zwischen 2004 und 2009 zeugen die Dokumente von einem unbekannten Ausmaß an Gewalt, Terror und Leid. Wikileaks überließ die Unterlagen zuvor Medien rund um den Globus, darunter dem Spiegel, der New York Times und dem Guardian. Die Dokumente stammen laut Wikileaks aus einer geheimen Datenbank des US-Verteidigungsministeriums. Weitere Details wurden nicht bekannt. Sie wurden zwischen Anfang 2004 und Ende 2009 erstellt. Das Pentagon weigerte sich, die Echtheit der Dokumente zu bestätigen, machte aber keine gegenteiligen Angaben.

US-Außenministerin Hillary Clinton reagierte wütend auf die Enthüllungen. Die nationale Sicherheit der USA und die ihrer Verbündeten sei bedroht. Auch das Verteidigungsministerium in Washington war außer sich: „Indem solch sensible Dokumente zugänglich gemacht werden, setzt Wikileaks weiter das Leben unserer Soldaten, unserer Verbündeten und von Irakern und Afghanen aufs Spiel, die für uns arbeiten.“

Das Pentagon verurteilte die Veröffentlichung als „schamlos“. Sie könne die Sicherheit der USA gefährden und vor allem den US-Streitkräften im Irak schaden, sagte Pentagon-Sprecher Geoff Morrell. „Unsere Feinde können in den Dokumenten nach Schwachstellen suchen, nach bestimmten Verhaltensweisen – nach Informationen also, die ihnen bei künftigen Anschlägen zugutekommen.“ In den veröffentlichten Geheimakten würden auch 300 Iraker genannt, die nun „besonders anfällig für Vergeltungsangriffe“ seien.

Der stellvertretende britische Premierminister Nick Clegg sagte, das Fehlverhalten der zum Teil britischen Soldaten müsse untersucht werden. „Wir können beklagen, wie diese Veröffentlichung zustande kam. Aber die Vorwürfe, die darin gemacht werden, sind außergewöhnlich ernst“, sagte der Liberaldemokrat am Sonntag der BBC.

Insgesamt 391.832 geheime Berichte des US-Militärs stellte Wikileaks nach eigenen Angaben ins Netz. In den Dokumenten berichten zumeist junge Feldoffiziere der amerikanischen Streitkräfte in nüchterner Sprache über die Vielzahl von Angriffen und Anschlägen in dieser Zeit (siehe Text Seite 3 oben). Damit sei der Krieg im Irak verheerender als der in Afghanistan, schreibt Wikileaks auf seiner Website, die sowohl am Samstag als auch am Sonntag offenbar wegen des großen Ansturms zwischenzeitlich zusammenbrach.