Der Meister im Wurstkessel

Indische Woche der Wahrheit: die Weltmeisterschaft der Fakire, Yogis und Sadhus

Ein Jüngling am Straßenrand, der seit Stunden wie in Trance auf der Suche nach Erleuchtung sich mit der kleinen Zehe in der Nase bohrt; ein Mann auf dem Marktplatz, der sich mit dem Kopf voran bis zur Hüfte in die Erde eingegraben hat, um sich von der Illusion der äußeren Welt zu befreien, und kleine Gaben erbittet, indem er den Passanten die offenen Fußsohlen entgegenstreckt; ein Greis, der, um die Herrschaft des innersten Selbst über den vergänglichen Körper da draußen zu demonstrieren, sein ganzes Leben auf einem einzigen Bein steht – so dass sich eine Kuhle unter ihm gebildet hat – und sich das andere Bein über die Schulter gelegt hat, wo es mittlerweile angewachsen ist: das ist in Indien nichts, was einen mageren Hund hinter dem Ofen hervorlockt.

Im Gegenteil, für gelernte Inder ist das Alltag, so normal wie für uns vorurteilsfreie Europäer zu Hause der Anblick von Behinderten. Nur dass diese Fakire, Yogis und Sadhus, wie sie heißen, hohe Anerkennung genießen und niemand einen schiefen Mund zieht, wenn sie sich bis auf die Knochen geißeln, um das negative Karma endlich aufzulösen. Fakire, Yogis und Sadhus, in einem Satz gesagt, sind in Indien die heiligen Kühe unter den Menschen.

Hotels, die eigens für Fakire Nagelbretter im Angebot haben, sind auf dem Subkontinent selbstverständlich, und Reisebüros wissen, dass ein Yogi, der für seine drei Wochen Jahresurlaub ein Resort in Übersee bucht, sein Ziel selber anfliegt. In Indien sind die Fluglotsen an den Radarschirmen längst mit diesem Problem vertraut, und mit der wachsenden Rolle, die das täglich größer werdende Milliardenvolk im Zuge der Globalisierung spielt, wird der richtige Umgang mit IFOs, den Indischen Flugobjekten, bald in jedem Tower der Welt zu einer seriösen Flugsicherung gehören müssen.

Seit im Sog der Britpopgruppe „The Beatles“ immer mehr Touristen das schamhaarförmige Land besuchten, um mal rasch an der inneren Vollendung zu feilen, wurden die indischen Heiligen auch im Westen bekannt. Yogis, die einen steinernen Linga nach dem anderen aus ihrem Mund herausholen, jenes hinduistische Weltei, das sich in ihrem Inneren gebildet habe wie das Kind in der Jungfrau; Sadhus, die sich einen Sack Feldsteine oder einen ausrangierten Hängeschrank an den Penis binden, um ihre Lust zu unterdrücken; Fakire, die durch Erzeugung innerer Leibeshitze, der „Tapas“, Metall auf ihrer Haut zum Schmelzen bringen: all das rief bald breites Gähnen hervor, und kein Reisender schenkte den nach erhabener Bedürfnislosigkeit strebenden Asketen noch eine müde Rupie. Das Niveau musste steigen, und seit 1970 treffen sich die indischen Heiligen deshalb jedes Jahr in Benares zur „All Indian Yogi Fair and Championship“, zur Handelsmesse für Yogi-Bedarf und inoffiziellen Weltmeisterschaft der Fakire, Yogis und Sadhus.

Unvergessen ist bis heute Yogi Ramadama Swami, der zwischen 1982 und 1987 sechsmal in Folge den Titel holte. 1983 hatte er sich, um seine vollkommene Beherrschung des Schmerzes zu demonstrieren, in einem Wurstkessel kochen lassen, ohne mehr Schaden zu nehmen als eine kleine Blase auf dem linken Auge. 1986 ließ er sich, um die Überlegenheit des reinen Bewusstseins zu beweisen, von einer Fleischermaschine zerschneiden und in kleine Zellophanportionen verpacken, und die einzige Spätfolge war ein verkehrtherum anwachsender Daumen. 1987 ließ er sich, um allen seine Demut zu zeigen, von Jury und Publikum bei lebendigem Leib aufessen – wobei sogar der Elefantenfuß mitgegessen wurde, in dem er serviert wurde. Die einzige unerwartete Nebenwirkung, so einige Beobachter, war ein unangenehmer Geruch bei der Morgentoilette.

1988 allerdings nahm die Geschichte eine tragische Wendung, als der Yogi einfach die Luft anhielt und es ihm seither nicht wieder gelang, die Atmung in Gang zu setzen. Niemand weiß, ob der Meister noch meditiert oder schon tot ist; man hat, als große dunkle Flecken sichtbar wurden und sich auf dem Yogi Maden materialisierten, ihn ausgestopft und hofft bis heute, dass er wieder erwachen wird.

Verglichen damit waren die Leistungen der diesjährigen Meisterschaft fast banal. Schon die Teilnahme eines Sadhus wie Buddarama Plumbumbaram, der nichts weiter vorweisen kann, als dass er sich aus Gleichgültigkeit gegenüber dem Leiblichen nur von Hamburgern und Cola ernährt und für einen Asketen rekordverdächtige 380 Kilo auf die Waage bringt, war verwunderlich.

Ärger noch: Der fliegende Yogi Wawawarlal Neppu musste disqualifiziert werden, nachdem man unter seinem Gewand einen Arschpropeller entdeckt hatte; und Sri Aschramaschra Abakadabaram, der aus einem Hut Kaninchen hervorzauberte, kam zu Recht nicht über die Vorrunde hinaus. So landete Fakir Tigarama aus Eschnapur, der eine Eisenkette, einen Schreibtischstuhl und eine vollständige lebende Kuh aus seinem linken Ohr herauszog, am Ende verdient auf Platz eins. Wir verneigen uns vor ihm nach indischer Sitte mit auf der Brust gekreuzten Füßen! PETER KÖHLER