DAS WORT ALS WAFFE
: Linke Läden im Visier der Polizei

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VON HELMUT HÖGE

Mitte September wurden die Buchläden Schwarze Risse (Mehringhof), OH*21 (Oranienstraße) und M99 (Manteuffelstraße) erneut durchsucht – gefahndet wurde nach den linksradikalen Zeitschriften Interim, Prisma, Radikal, nach Plakaten und Flugblättern. Die betroffenen Kollektive müssen sich langsam was dagegen einfallen lassen. Sie planen erst einmal eine Veranstaltung: „Innerhalb des letzten Jahres wurden die Läden von Schwarze Risse fünfmal, der Infoladen M99 viermal und der Buchladen OH*21 und der Antifa-Laden Fusion/Red Stuff zweimal durchsucht,“ heißt es dazu in einem Flugblatt der drei Buchläden.

Begründet wurden die Durchsuchungen mit dem Paragrafen 130a Strafgesetzbuch, „Anleitung zu Straftaten“ mittels Schriften, die verbreitet werden oder mit Worten auf einer Versammlung. Dieser Paragraf wurde 1976 eingeführt, nachdem die Studentenbewegung zuvor bereits ihren Höhepunkt überschritten und einige kleine Gruppen sich radikalisiert hatten. Neu ist nun, dass die Vorwürfe „Anleitung zu Straftaten“ nicht mehr nur gegen die unbekannten Zeitschriften-Herausgeber, sondern auch gegen die Geschäftsführer der Buchläden gerichtet sind, die deshalb mit einem Strafverfahren wegen „Aufforderung zur Gewalt“ zu rechnen haben.

Rechtsprechung revidieren

Mit einer Einstellung des Verfahrens wie früher ist nicht mehr zu rechnen. Die Staatsanwaltschaft bekräftigte auf Nachfrage eines Anwalts, dass es ihr ernst ist mit diesem Vorstoß: „Sie strebt ein Gerichtsverfahren an, das die bisherige Rechtsprechung revidieren soll“, so der Anwalt. Die von den Razzien Betroffenen und ihre Anwälte sprechen von einer „politischen Initiative der Staatsanwaltschaft“.

Um das Jahr 2000 wurden die Läden noch von einer Hundertschaft heimgesucht. Inzwischen sind es nur noch etwa 15 Beamte, von denen 10 draußen bleiben müssen, um das Gelände weiträumig abzusperren. Die fünf Polizisten, die mit einem Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten im September die Beschlagnahme der Druckerzeugnisse vornahmen, wissen inzwischen genau, was sie suchen: Zuletzt nur die Ausgabe 715 des Autonomen-Infos Interim, wobei die Richterin den Polizisten in ihrem Beschlagnahmebeschluss Zitathilfe gab: In der fraglichen Interim-Ausgabe heiße es auf Seite 7/8 unter der Überschrift „3. Okt. 2010: Hauptsache, es knallt!“ unter anderem: „Unser Anliegen besteht darin, die Einheitsfeier zu einem Desaster zu machen!“ „Vom Straßentheater bis zum Grillanzünder, wir können uns da ’ne Menge vorstellen.“ Und: „Die politisch Verantwortlichen haben Namen, Adressen und oft auch schicke Autos vor der Tür.“

Aufforderung zur Gewalt

Auch eine Vollzugsmeldung von Hamburger Autonomen gegen das Haus eines Bundeswehroffiziers, der gleichzeitig Bezirksbürgermeister ist, wurde als „Aufforderung zur Gewalt“ klassifiziert. Abschließend hob die Richterin hervor: „Nachteilige Folgen der Beschlagnahme stehen nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache, und ein überragendes entgegenstehendes öffentliches Interesse ist nicht erkennbar.“

Das sehen die betroffenen Kollektive allerdings ganz anders: „Wie im Fall des Paragrafen 129a – ‚Bildung einer terroristischen Vereinigung‘ – haben wir es beim Paragraf 130a mit einem sogenannten Ermittlungsparagrafen zu tun, dessen Zweck nicht zuletzt darin besteht, die Szene zu durchleuchten.“ Dies geschehe jetzt in einem „extremismustheoretisch genährten“ Umfeld. Das heißt, Linke und Rechte werden in der Folge auf ein polizeiliches Problem der „Mitte“ und der „Mehrheit“ reduziert. Der Paragraf 130 richtete sich insbesondere gegen diejenigen, die „zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstacheln oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordern oder die Menschenwürde anderer verächtlich machen“.

Dies betrifft zumeist die Rechten, insofern sie gegen Türken, Zigeuner, Juden und andere hetzen. Der Staat und die ihn tragenden Parteien sprechen dagegen von einer „zunehmenden Gewaltbereitschaft“ auf beiden Seiten und dass es den Anfängen zu wehren gelte. In diesen Kontext passt eine Meldung des Tagesspiegels zu den Durchsuchungen: „Nachdem Interim die Anleitung für den Bau einer Bombe gebracht hatte, durchsuchten Beamte die Redaktion. Auch gegen einen rechtsextremen Online-Versand in Marzahn ging die Polizei vor.“ Über diese gerechte Teilung der (Staats-)Gewalt freut sich der Tagesspiegel, der sich anscheinend guter Kontakte zur Staatsanwaltschaft erfreut: Einmal schlug er sogar schneller zu – mit schlimmen Zitaten aus der Interim.