Wahltaktik und neue Einsichten
: Polen: Katholische Soziallehre

VON PAUL FLÜCKIGER

Die meisten Polen hatten die Wahlversprechen der Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) schon halb vergessen. Doch dann kam Jarosław Kaczyński, der selbsternannte erste Kämpfer für ein hartes Gesetz und soziale Gerechtigkeit, und las seinen Ministern die Leviten. Das Wohnbauprogramm sei vernachlässigt worden. Er höchstpersönlich werde nun darauf achten, dass die versprochenen 3 Millionen neuen Wohneinheiten gebaut und somit die polnischen Familien gefördert würden. „Es braucht nur eine gute Finanzplanung“, sagte der Premier, „Geld gibt es in Polen genug, man muss es nur zu gebrauchen wissen.“

Ein Blick auf Staatshaushalt und Schuldendienst zeigt etwas anderes, aber Kaczyńskis Botschaft war klar: „Wir sind sozial!“ Ihre soziale Ader entdeckte die PiS im Wahlkampf vor gut einem Jahr. Als klar wurde, dass die wegen Korruptionsaffären völlig diskreditierte Linke die Wahlen selbst mit traditionellen sozialdemokratischen Forderungen haushoch verlieren würde, dafür aber die Liberalen gewinnen könnten, erinnerten sich die Kaczyński-Zwillinge an ihr Parteiprogramm.

Dieses ist über weite Stellen an der katholischen Soziallehre ausgerichtet. Die Wirtschaft, heißt es dort, dürfe nicht auf den finanziellen Aspekt reduziert werden. Budgetdisziplin und Inflationsbekämpfung seien nicht das oberste Ziel. „Seit der Wende sind soziale Grundprobleme in Polen noch immer nicht gelöst“, steht in dem 2001 verfassten PiS-Programm. Die Lösung? Die traditionelle, christliche Familie muss moralisch und mit mehr Kindergeld gefördert und die Arbeitslosigkeit mittels Bauvorhaben bekämpft werden. Seitdem ist hier vom Kampf zwischen dem „liberalen“ und „solidarischen“ Polen die Rede. Ein „liberales Polen“ will laut den Kaczyńskis die in einer mafiösen Struktur mit den ehemaligen kommunistischen und später sozialdemokratischen Machthabern verbandelte liberale Opposition; das „solidarische Polen“ die PiS mit ihren beiden kleinen Regierungspartnern – der rechtsextremen Polnischen Familienliga und der sozialpolitisch aktiven Samoobrona (Selbstverteidigung) des Bauernführers Lepper. Eine enge Zusammenarbeit mit „Solidarność“, der größten Gewerkschaft in Polen, gibt der PiS zusätzliches Gewicht. Jarosławs Zwillingsbruder Lech Kaczyński plant eine Gesetzesnovelle, die für die in Polen alltäglichen Verstöße gegen das Arbeitsrecht Strafen bis zu umgerechnet 5 Millionen Euro vorsieht. Zu dem Gesetz sind bisher nicht die Arbeitgeber konsultiert worden – und dürften es auch nicht werden.