Auf dem bunten Jahrmarkt

GROSSE OPER Die Komische Oper bringt „Die Schneekönigin“ als Wintermärchen für Kinder auf die große Bühne. Der Star der Oper ist der Kinderchor des Hauses

An der Komischen Oper nimmt man den Zuschauernachwuchs besonders ernst. Zwar betreiben alle drei Berliner Opernhäuser sehr erfolgreich eigene Seitensparten für Kinder – die Nachfrage ist riesig. Doch der Aufwand, der in der Behrenstraße in Produktionen für die minderjährige Zielgruppe gesteckt wird, steht dem für eine „erwachsene“ Oper in nichts nach.

Am vergangenen Sonntag feierte man in der Komischen Oper die Uraufführung von „Die Schneekönigin“. Der Komponist Pierangelo Valtinoni, der sich am Haus bereits mit „Pinocchio“ einen Namen gemacht hatte, und sein Librettist Paolo Madron haben das Andersen-Märchen um die zwei Kinder Gerda und Kay der Oper anverwandelt.

Der Stoff ist nicht einfach: Einerseits ist er durchzogen von fantasievoll-fantastischen Szenerien, die auf der Bühne umzusetzen sicher die reine Freude ist. Andererseits dient diese Fantastik nur als Verkleidung für eine Erzählung von philosophisch-moralischem Gehalt, die in einer zumal für Kinder schwierig zu deutenden Metaphorik daherkommt.

Bei Andersen wird der Junge Kay von einem Splitter des Spiegels des Teufels getroffen, was bei ihm ein ungesundes Interesse an Naturwissenschaft und Mathematik weckt. Bald wird er von der Schneekönigin entführt, in deren Palast hoch im Norden sein Herz langsam zu Eis erstarrt. Das Mädchen Gerda, schon vorher betrübt durch das plötzliche Desinteresse des Freundes an gemeinsamen Spielen, vermisst Kay schmerzlich und macht sich auf den Weg, um ihn zu retten.

Kein Spaß mit Mathe

Schade eigentlich, dass der Librettist es nicht gewagt hat, sich etwas weiter vom genial-verschrobenen Andersen und seiner polemischen Breitseite gegen die rechnenden Wissenschaften zu entfernen. Den splitterbefallenen kleinen Kay (Matthias Siddhartha Otto) auf großer Bühne darzustellen als kaltherzigen Naturforscher, der nur Formeln im Kopf hat, ist, mal ganz volkspädagogisch argumentiert, ziemlich unfair gegenüber all jenen, die sich anderswo bemühen, dem schulpflichtigen Nachwuchs nahe zu bringen, dass Mathe auch Spaß machen kann.

Weil die Spiegelsymbolik ausgelassen wird, wird zudem in der Oper einfach nicht klar genug, aus welchem Grund Kay seine Wandlung durchmacht. Dass die Großmutter zu Beginn ein Märchen von der Schneekönigin erzählt, müssen wir dem Programmheft entnehmen, denn die Textverständlichkeit lässt allgemein zu wünschen übrig, trotz der elektronischen Verstärkung, die man den Sängern wohl im Sinne des jungen Publikums gewährt. Anna Borchers allerdings, die in der Rolle der jungen Gerda stimmlich und darstellerisch sehr überzeugt, ist auch artikulatorisch gut disponiert.

Trotzdem wünschte man sich, wie in der Komischen Oper sonst üblich, den Text mitlesen zu dürfen. Die Kinder aber folgen zwei Stunden lang gebannt dem Treiben. Die Regisseurin Anisha Bondy hat die Wanderung der kleinen Gerda in ein jahrmarktsbuntes Bühnenstück voller wundervoller Auftritte für den Kinderchor des Hauses verwandelt. Die kleinen SängerInnen sind die eigentlichen Stars der Inszenierung, ohne sie geht gar nichts, denn ihre jeweilige Verwandlung charakterisiert erst die Szenerie. Die kleinsten sind sechs, unter den Größeren haben viele richtige Soli.

Es macht sichtlich Spaß, die Musik zu singen, die Pierangelo Valtinoni komponiert hat, und auch das Zuhören ist angenehm. Prägnante, oft komische kleine Charakterstücke für die SolistInnen und gut singbare, den Kindern auf den Chorleib geschneiderte, nicht zu vielstimmige Chorpartien wechseln einander ab. Langweilig wird das nie, und das Orchester unter Aurélien Bello spielt sich von beseelt bis schmissig inspiriert durch alle Gemütslagen der Figuren. Wer mag da noch grübeln über Motivation und Moral der Geschicht’, wenn es für Ohren und Augen so reichlich leckere Speise gibt. KATHARINA GRANZIN

■ Nächste Aufführungen: 31. 10., 16 Uhr; 1. 11., 11 Uhr