ausgehen und rumstehen
: Wo Scholastiker einst bekifft schlussfolgerten, retten blutjunge Panik-Buben den Abend und Pop

So. Da war ich also endlich auch mal in diesem mythenumwobenen Sankt Oberholz, diesem Spitzencafé mit (wie mir Trixi wörtlich versprach) New Yorker Flair, in dem die cleveren Mensch-Laptop-Hybriden von heute per Wireless Lan die Probleme von Morgen lösen. Vornean war der Laden zumindest insofern, als er Eigeninitiative über Versorgungsmentalität stellte, was hieß: Man musste sich die affigen, aber schalen Getränke selber holen. Auch das mit den Laptops war kein Märchen gewesen: 90 Prozent der Gäste saßen an einem. Aber wies sie das, was da auf den Bildschirmen flimmerte, wirklich als Crème de la Bohème aus? Waren das die Bolschewisten einer informationstechnisch humanisierten Marktwirtschaft? Mal spannen.

Eine junge Frau in Violett am Nebentisch grinste zum Beispiel grad sehr vielversprechend, als wäre sie beseelt von einer nicht nur ihr, sondern allen, sogar den Afrikanern zugute kommenden Geschäftsidee. Ich lehnte mich unauffällig zurück und schielte an ihrer Rhabarberlimonade vorbei auf Folgendes: das Reiseportal der Deutschen Bahn. Mhhh, na gut, will nichts heißen, fährt vielleicht morgen zu Gott weiß was Wichtigem. Und rechts der Herr in Jeans und Sakko, dessen heller Dreitagebart sein freundliches Gesicht aussehen ließ, als wäre es voll Puderzucker? Was hatte der auf der Pfanne?

Hier sah man nicht gleich, um was es sich handelte. Die Seite war in gedeckten Farben gehalten, das Design hielt die Balance zwischen feudaler Eleganz und futuristischem Schick, verheißungs- und geheimnisvoll. Es mochte sich um eine Loge handeln, einen Herrenraucherclub oder eine Elite-Fernuni. Oder war es doch eine Art … Speisekarte? Jetzt erkannte ich schockiert rechts oben das Logo des Cafés, in dem wir grade saßen: Sankt Oberholz.

Das war der Punkt, an dem ich froh war, dass dies nicht das Endziel des Abends, sondern die erste Station eines von meiner Reisegruppe sorgsam komponierten Kontrastprogramms war. Als nächstes ging es in ein irgendwie mit dem agrarwissenschaftlichen Institut verbundenes alternatives Kulturzentrum. Es nannte sich „Krähenfuß“ – ein Name, bei dem man sich entscheiden musste, ob man lieber der Assozationskette Richtung Tränensack und Hühnerauge folgen oder dem von den Namensgebern beabsichtigten Fingerfarbencharme linker Widerborstigkeit erliegen wollte. Der Eintritt war umsonst, die Toiletten waren dreckig. Auf ihren Türen wurde in dem typischen aufgebrachten Ton diskutiert, der noch aus einer Zeit stammte, in der man dachte, irgendwas hinge davon ab, ob ein paar bekiffte Scholastiker richtig schlussfolgern. Vielleicht waren die Türen aber auch einfach so alt.

Wir waren hier, um ein Konzert von Ja, Panik aus Wien zu sehen. Sie hatten in Österreich für Britta eröffnet, woraufhin die Musikerinnen dieser Band die blutjungen Buben jener in die großen Herzen schlossen und adoptierten. Das kann verstehen, wer die Kotquellen junger deutscher Popmusik in den letzten Jahren mit Trauer hat sprudeln sehen und sich schon lange nach etwas Erträglichem sehnt. Nach etwas, das nicht Soundtrack zur Bewegung an frischer Luft ist, das sich nicht am Bombast eingebildeter Relevanz und an Begriffsbrocken wie „Heimat“ und „Geschichte“ verhebt, das nicht nach Jungsumkleidekabine riecht und einverständnisheischend mit Gang-of-Four-Gitarren den Muckerdreck aufzumöbeln versucht, der vor Sekunden noch Crossover war.

Die Musik von Ja, Panik dagegen zu beschreiben, in der Neil Young und Fehlfarben nachhallen und deren strotzender Jugend eine drogenbleiche Morbidität beigemischt ist, fehlt mir nun aber leider der Platz.

JENS FRIEBE