Reisen und Randale

Morgen spielt das Fußballnationalteam in der EM-Qualifikation gegen die Slowakei. Auf Tour nach Bratislava gehen nicht nur friedfertige Fans. Der DFB-Sicherheitschef befürchtet Ausschreitungen

„Wir haben leider Hinweise darauf, dass vor Ort wieder Karten an Personen verkauft werden, die wir nicht im Stadion haben wollen“

AUS HEILIGENDAMMRONNY BLASCHKE

Eigentlich wollte Alfred Sengle seinen Posten im Deutschen Fußball-Bund schon vor langer Zeit aufgeben. 1998 wurde er dann Sicherheitschef des DFB. Es war eine Zeit, die geprägt wurde von einer Debatte um die düsteren Begleiterscheinungen des Fußballs. Randalierer hatten während der WM in Lens den französischen Gendarmen Daniel Nivel fast zu Tode geprügelt. In der Folgezeit diskutierten Funktionäre, Fans und Medien lauter über das Gewaltphänomen als je zuvor. Acht Jahre später ist Gewalt im deutschen Fußball nicht verschwunden, sie hat sich gewandelt. Dabei sind Gewaltakte und Schmähungen keine Modeerscheinung, sie sind immer aktuell – und werden es bleiben. Anfeindungen gegenüber dem Schalker Asamoah oder dem Leipziger Ogungbure finden in den unteren Ligen an jedem Wochenende statt. Geändert hat sich aber die Wahrnehmung.

Alfred Sengles Laufbahn als DFB-Sicherheitschef endet so, wie sie begonnen hat – in einem hochsensiblen Umfeld. Am 31. Dezember dieses Jahres geht er in Ruhestand, doch vorher hat er vermutlich noch eine seiner schwereren Prüfungen zu absolvieren, denn am Mittwoch trifft die DFB-Auswahl beim EM-Qualifikationsspiel in Bratislava auf die Slowakei. „Wir haben leider Hinweise darauf, dass vor Ort wieder Karten an Personen verkauft werden, die wir nicht im Stadion haben wollen“, sagt Sengle. Manager Oliver Bierhoff spricht von 500 „Problemfällen“. Er sagte gestern: „Wir machen uns große Sorgen.“ Und Pressechef Harald Stenger ließ wissen: „Die Grenzkontrollen sind entschieden verstärkt worden.“ Das heißt: Ausschreitungen sind ziemlich wahrscheinlich.

Es wäre nicht das erste Mal, dass deutsche Randalierer in Osteuropa in Erscheinung treten würden. „Vor allem Leute aus den unteren deutschen Ligen missbrauchen Länderspiele, um rassistisches Gedankengut zu verbreiten“, sagt der Berliner Soziologe Gerd Dembowski, einer der Initiatoren der antirassistischen Projektgruppe Flutlicht. So war es auch beim letzten Duell des Nationalteams in der Slowakei am 3. September 2005 (0:2). Sechs Personen wurden im Verlauf der Krawalle verletzt, davon einer schwer. Schlimmer war es ein halbes Jahr zuvor beim Gastspiel in Slowenien gewesen. In Celje lieferten sich Schläger eine Straßenschlacht mit der Polizei. Im Stadion schossen sie Leuchtraketen auf den Rasen, 65 Personen wurden festgenommen.

Damals hatten die Hooligans vor Ort die Karten erworben, obwohl ihnen offiziell in Deutschland keine zugeteilt worden waren. Der DFB verkauft Tickets nur an Mitglieder des Fanklubs Nationalmannschaft und an die Fanklubs der Vereine. Dennoch ist es für die meisten Gästefans kein Problem, an Karten zu kommen. Viele werden die Slowaken bitten, ihnen Tickets zu verkaufen. Sengles Bitte an die Verbände, am Spieltag selbst keine Kassen mehr zu öffnen, wurde schon oft ignoriert. So könnten jene Fans die Exkursion nach Bratislava nutzen, die in Deutschland wegen des Überwachungsstandards schon vor Jahren aus den Arenen verdrängt wurden und sogar mit einem Stadionverbot belegt sind. Die Meldeauflagen in Deutschland interessieren sie kaum.

Erschwerend kommt hinzu, „dass die Polizeiarbeit der Slowaken sich von der deutschen unterscheidet“, wie Michael Endler erläutert, der Leiter der ZIS in Düsseldorf, der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze, die Daten über deutsche Gewalttäter sammelt, ausweitet und weitergibt. Es ist nicht nur einmal passiert, dass Verbände nicht auf die Warnungen von DFB und ZIS gehört haben und die Polizei während des Spiels völlig überfordert war. Zudem werden Ordner und Polizeikräfte in der Slowakei selten mit Herausforderungen wie diesen konfrontiert. Eine Art ZIS oder ein Netzwerk von Fanprojekten für die Beschaffung von Informationen sucht man vergeblich. „Schon eine kleine Gruppe von dreißig Leuten kann in einem Block eine diffuse rechte Stimmung auslösen“, berichtet Thomas Schneider. Der Aufbauhelfer der Koordinationsstelle der Fanprojekte in Frankfurt ist vor kurzem der erste Fan-Beauftragte der Deutschen Fußball-Liga (DFL) geworden.

Es ist eines von vielen positiven Zeichen. Auch Theo Zwanziger, Präsident des DFB, sucht neuerdings Kontakt zu Fan-Aktivisten. Sein Vorgänger Gerhard Mayer-Vorfelder dagegen lag mit den meisten im Clinch, es herrschte Funkstille. Viele Kampagnen verfehlten ihr Ziel. Zwanziger will die Gewaltproblematik nicht verschweigen, er will ein Bewusstsein in der Öffentlichkeit schaffen, das einen Prozess der Prävention vorantreibt. Das fordern Fifa und Uefa. Nur so sind böse Überraschungen wie jene in Bratislava vor einem Jahr auf Dauer zu verhindern.