„Wir fangen grade erst an“

HISTORIE Der Verein für Hamburgische Geschichte wird 175 Jahre alt, hat aber noch einiges vor

■ 53, Historiker und Professor an der Universität Hamburg sowie Vorsitzender des Vereins für Hamburger Geschichte.

taz: Herr Nicolaysen, gibt es noch schwarze Flecken in Hamburgs Geschichte?

Rainer Nicolaysen: Jede Menge! Wir fangen quasi grade erst an. Nein im Ernst, natürlich gibt es Felder die mehr bearbeitet worden sind, wie die Zeit des Nationalsozialismus. Aber heutzutage stellen sich ganz andere, neue Fragen. Zum Beispiel hat bis in die 70er-Jahre keiner nach der Rolle der Frauen in der Geschichte gefragt. Jetzt muss man die Ereignisse noch mal unter diesem Aspekt betrachten. Oder die neuen Funde der sagenumwobenen Hammaburg. Die hinterlassen nicht nur archäologische, sondern auch historisch ungeklärte Fragen.

Wo gibt es denn noch Unklarheiten?

Eigentlich ist man in der Forschung immer 30 Jahre zurück. Weil meistens dann erst bestimmte Quellen offengelegt werden. Das heißt im Klartext: Die gesamte Hamburger Geschichte nach 1945 fängt eigentlich jetzt erst so richtig an, bearbeitet zu werden.

Haben dann populäre Bewegungen wie die 68er oder die Hafenstraße noch keinen Platz in der Geschichte Hamburgs?

Doch, na klar. Das ist für uns Historiker aktuelle Geschichte, also „lebendige“ Wissenschaft. Das ist toll, weil es so viele Zeitzeugen gibt. Nur ist es schwer zu differenzieren, ob das, was einem erzählt wird, auch wirklich stattgefunden hat. Denn es könnte genauso gut nur die Meinung von demjenigen sein, was damals geschehen ist. Deshalb ist es uns wichtig, dass alles schriftlich belegt werden kann. Zur Hafenstraße zum Beispiel, hat der Verein schon diverse Artikel veröffentlicht.

Und wie ist das Interesse jüngerer Leute an Ihrem Verein?

Nun, Geschichtsvereine haben den schlechten Ruf, verstaubt zu sein, und bei uns würden nur ältere Herren sitzen. Der Verein zählt zwar mehr als tausend Mitglieder – und leider hängt an dem Klischee auch Wahrheit. Aber wir probieren dagegen anzukämpfen, indem wir den Vorstand mit jüngeren Leuten besetzen und bemühen uns, das Interesse der Studenten zu wecken.

Und wie machen Sie das?

Indem wir zeigen, dass Geschichte und Gegenwart viel miteinander zu tun haben. Weiß man mehr über seine Heimat, lässt sich einiges besser nachvollziehen. Altona war zum Beispiel mal eine unabhängige Stadt. Weiß man das, kann man den Unterschied zu anderen Stadtteilen besser verstehen. INTERVIEW: AMV

Jubiläumsfeier: 11 Uhr, Großer Festsaal, Hamburger Rathaus