Ärmel hochkrempeln und ran an die Nuggets

DO IT YOURSELF Goldgräberstimmung bei den Gründern: Berlin scheint der ideale Ort für kreative Geschäftsideen zu sein

Seit April ist Berlin um ein weiteres Angebot reicher: die Online-Plattform www.gruenden-in-berlin.de. Hier finden Gründungswillige alle Informationen, die sie benötigen, um erfolgreich ein Unternehmen auf die Beine zu stellen – von Adressen von Ansprechpartnern über Businessplanchecklisten bis hin zu Flyern zu Themen wie Steuern oder Versicherungen. MK

VON MANDY KUNSTMANN

Ob Karpfen- oder Steckrute, Aalglöckchen oder Kunstköder: Mit Fischfangzubehör kennt sich Stephanie Kreibisch aus. Im April 2011 eröffnet die 26-Jährige ihren eigenen Angelladen. „Angelkoffer“ soll draußen dranstehen und zufriedene Kunden aus ihm herausspazieren. Bevor die Sektkorken zur Eröffnung knallen, ist noch viel zu tun. Ein Businessplan muss aufgestellt, die Werbetrommel gerührt und Kredite beantragt werden. Allein steht die dreifache Mutter dabei zum Glück nicht da. Ihr Freund, von dem sie sich mit der Angelleidenschaft hat anstecken lassen, steht ihr mit Rat und Tat zur Seite. Und auch die Gründerberater der .garage berlin geben ihr wertvolle Tipps.

Die junge Frau mit Jeans und feschem Kurzhaarschnitt ist eine von tausenden mutigen Selbständigen, die von den vielfältigen Beratungsangeboten der Stadt profitieren. „Vor allem im kreativen Bereich boomen die Existenzgründungen“, beobachtet .garage-Coach Guido Neumann. „Irre viele“ Mode- und Grafikdesigner wie auch Fotografen besuchen derzeit seine Seminare.

„Berlin ist die Gründungshauptstadt Deutschlands“, verkündet Wirtschaftssenator Harald Wolf. Die Zahlen sprechen dafür: Mit jährlich 117 Neuerrichtungen pro 10.000 Einwohner steht der Stadtstaat an der Spitze der Bundesländer. Zweitplatzierter Hamburg bringt es auf 112 und Rheinland-Pfalz, das für den bundesweiten Durchschnitt steht, auf 88 Neugründungen pro 10.000 Bürger.

„Es existiert eine Art Goldgräberstimmung“, berichtet Berater Neumann über die Gründerszene. Positiv ist die Atmosphäre. „Die Hauptstädter sind für Gründungen sehr aufgeschlossen“, sagt er. Das zeigten die Markterkundungen seiner Teilnehmer.

Im Laufe der Jahre sind die Förderangebote für Menschen, die in Berlin ihr eigenes Unternehmen aufbauen oder sich selbständig machen wollen, immer zahlreicher geworden. Mit verschiedenen Programmen greift zum Beispiel die Investitionsbank Berlin (IBB) Gründern finanziell unter die Arme. Sie vergibt Darlehen für die Erstausstattung oder hilft mit Mikrokrediten sowie Personalkostenzuschüssen aus. Berlin bietet aber nicht nur finanzielle Unterstützung. „Durch Coachings oder Wettbewerbe werden Existenzgründer auch intellektuell gefördert“, so Berater Neumann. Gute Beispiele dafür sind das Förderprogramm START:Chance und der Businessplan-Wettbewerb. Aber auch Kammern, Hochschulen oder Bezirksämter haben Beratungsangebote parat.

Dass Gründer für die Wirtschaft eine wichtige Rolle spielen, zeigen die Ergebnisse des Businessplan-Wettbewerbs. Alleine die Unternehmen, die in den vergangenen Jahren im Rahmen des Wettstreits gegründet wurden, haben fast 6.000 dauerhafte Arbeitsplätze geschaffen. „Berlin erhält durch die Vielzahl an Neugründungen und Spin-offs aus Universitäten einen entscheidenden Innovationsschub“, erläutert Wirtschaftssenator Wolf. Die für die Hauptstadt typische Verbindung zwischen jungen innovativen Unternehmen und etablierten Großkonzernen sei Voraussetzung für Wachstums- und Beschäftigungsdynamik und mache Berlin zu einem starken Wirtschaftsstandort.

Durch Coachings oder Wettbewerbe werden Existenzgründer auch intellektuell gefördert

Es scheint irgendwie an der berühmten „Berliner Luft“ zu liegen, dass in der Spree-Metropole so viele neue kleine Unternehmen entstehen. „Berlin zeigt sich tolerant und liberal“, sagt Günter Faltin von der FU Berlin. „Die Atmosphäre regt zum Gründen an“, so der Professor für Entrepreneurship. Dennoch bestehe Verbesserungsbedarf. Bürokratisch gehe es in Deutschland zu, meint Faltin, viele Hürden lauern auf Gründer. Die Arbeitsstättenverordnung beispielsweise, die die Toilettenanzahl oder die Raumhelligkeit in einer Firma vorschreibt, mache Gründern das Leben unnötig schwer.

„In Asien würde man sich über so viel Bürokratie totlachen“, sagt Faltin. Klar gebe es dort auch Wildwuchs, aber dafür auch weniger Vorschriften. Die Arbeitsstättenaufsicht sollte die Gründer in den ersten ein, zwei Jahren in Ruhe lassen, lautet sein Vorschlag. Priorität müsse der Aufbau und das Überleben der Firma haben.

Wie allen Workshop-Teilnehmern der .garage berlin kämen weniger Vorschriften sicherlich auch Angelexpertin Stephanie Kreibisch zugute. Das unterscheidet sie nicht von ihren Mitstreitern. Eines hebt sie dennoch von der breiten Masse ab: Ihr Geschäft wird jenseits der Stadtgrenze liegen: nahe den besten Fischgründen. Dem Schriftzug „Angelkoffer“ wird sich ein „Brandenburg“ hinzugesellen.