Die mit dem Hemd

OSTALGIE Sie feierten in FDJ-Hemden, dann entdeckte die „Bild“ die Partyfotos. Nun fordern Schüler die Rehabilitation ihrer Lehrerin

„Bei ihr macht der Unterricht immer total Spaß“

SCHÜLERIN ÜBER FRAU SCHWALBE

AUS SUHL THOMAS SCHÜTT

Die Frau spricht leise, versteckt ihre müden Augen hinter einer Sonnenbrille. Ist das wirklich Heidemarie Schwalbe von den lustigen Partybildern? Im Internet kursierten Fotos von ihr: Sie, wie sie quer vor ihren Schülern auf einem Tisch liegt. In lasziver Pose, mit hochgeschnürten Sandaletten. Vor allem aber: Im FDJ-Look. Die Lehrerin und die Ossi-Party – das war eine Steilvorlage für den Boulevard: „Abi-Klasse spielt DDR: Darf man ein FDJ-Hemd tragen?“ fragte die Bild.

Diese Fotos sind inzwischen über ein Jahr alt, die Empörung währt erst wenige Wochen. Doch die Lehrerin kämpft noch immer mit den Folgen ihrer Entdeckung. „Die jagen mich“, sagt die 55-Jährige der taz. Sie sieht erschöpft aus.

Dabei sollte doch alles nur ein Mottotag der 12. Klasse sein. Die Zwölftklässler dürfen an ihrer Schule im thüringischen Suhl jährlich Vorschläge machen, wie sie sich dazu verkleiden wollen. Diesmal ging es um Rockabilly, Pyjama und Zombiealarm. Ein viertes Thema sollte sich dem DDR-Schulalltag widmen, der Schulleiter stimmte zu. Also spielte die Klasse an einem Tag Szenen aus dem DDR-Schulalltag nach, kostümiert. Besonderes Bonbon: ein Schulappell, wie er in der DDR üblich war, sollte ausdrücklich auch mit dabei sein, um laut der Lehrerin „das Satirische an einer solchen Veranstaltung deutlich zu machen“. So weit, so gut. Anschließend gab es dann noch etwas Spaß – inklusive der Erinnerungsfotos. Das Ende ist bekannt.

Irgendwann landeten die Bilder auf Facebook. Dann fand die Bild die Fotos. Vertreter von Opferverbänden meldeten sich zu Wort, Thüringens Bildungsminister Christoph Matschie (SPD) sprach von „DDR-Kitsch“. Der Leiter der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, empfahl der Lehrerin, sie solle lieber mal mit ihren Schülern in seiner Gedenkstätte vorbeikommen. Andere forderten, die Frau aus dem Schuldienst zu entfernen.

Jetzt kämpfen die Schüler um die Rehabilitation ihrer Lehrerin. Die Klasse verfasste einen offenen Brief. Wer in Suhl mit Schülern redet, dem stellt sich die Geschichte etwas anders dar als in der Bild.

Zwar ist Schwalbe, die schon während der SED-Diktatur Lehrerin an der Schule in Suhl war, Mitglied der Linkspartei und war Abgeordnete des Suhler Stadtrates. Aber zur DDR hat sie auch eine klare Haltung: „Damals war ich naiv, habe an den DDR-Sozialismus geglaubt. Mit Beginn der Wende durchlebte ich einen schmerzvollen Prozess“, sagt sie. Heute bezeichnet sich Schwalbe als „Antistalinistin“. Ihre Schüler verteidigen sie.

Hans Will, 19, sagt etwa: „Sie macht einen total guten und sehr anschaulichen Unterricht. Die DDR war eine Diktatur. Wir haben mit Suhler Opfern der SED-Willkür gesprochen, Gedenkstätten besucht. Nie hat Frau Schwalbe die DDR irgendwie verherrlicht.“

Schülerin Julia Sittig sagt: „Das mögen wir alle so an Frau Schwalbe, bei ihr macht ja auch der Unterricht immer großen Spaß. Sie ist echt locker.“ Auch der Schulleiter Andreas Bärwolf betont: „Es gibt hier am Gymnasium keine Glorifizierung der DDR-Zeit.“

Dennoch: Die Partynachwehen spürt Schwalbe bis heute. Zumindest ein Problemfeld kann sie nun allerdings abhaken: Disziplinarisch hat sie nichts mehr zu befürchten. Der Leiter des Südthüringer Schulamtes, Michael Kaufmann, sagte der taz: „Wir haben ihr eine Missbilligung ausgesprochen. Damit ist der Fall für uns abgeschlossen.“