Die Kamera lernt wegsehen

Wir gingen dorthin, wo andere nicht hingingen: Der Dokumentarfilm „Massaker“ über den Überfall auf ein palästinensisches Flüchtlingslager sucht das Gespräch mit den Tätern. Doch diese Perspektive führt ins Dunkle

„Ich will hier einen Park“, soll Eli Hobeika beim Blick auf die palästinensischen Flüchtlingslager Sabra und Schatila gesagt haben, bevor der Militärchef seine christlichen Milizen losschickte. Sie sollten alle Menschen, die ihnen vor die Gewehre kamen, töten. „Die Großen, die Kleinen, die Säuglinge – kein Mitleid.“ Am Ende lagen mehr als 2.000 Tote auf den Straßen und in den Häusern. Es war September 1982. Im Libanon herrschte ein Bürgerkrieg, in den Israel zutiefst verstrickt war. Ariel Scharon war zu diesem Zeitpunkt der Befehlshaber der Armee des Staates Israel. Ob und wie weit er mit dem Massaker von Sabra und Schatila zu tun hatte, ist bis heute unklar.

In „Massaker“, einem Dokumentarfilm von Monika Borgmann, Lokman Slim und Hermann Theißen, bleiben die Fragen der politischen Verantwortung letztlich offen. Eine Reihe von Tätern von damals hat sich bereit erklärt, vor der Kamera auszusagen, allerdings nur unter der Bedingung, dass sie nicht erkannt werden könnten. Sie erzählen relativ freimütig aus ihrem Leben und von ihrer Beteiligung an den Gräueln, selten kommen jedoch die größeren Zusammenhänge zur Sprache.

Die „Forces Libanaises“, denen die Protagonisten des Films „Massaker“ angehörten, waren ursprünglich eine Leibgarde für den christlichen Präsidenten Bachir Gemayel. Nach dessen Ermordung hielten im Libanon die anarchischen Zustände an, die der Politiker für einen Moment zu befrieden schien. Die christlichen Kämpfer, die als „Junge Löwen“ früh an den Umgang mit Waffen gewöhnt worden waren, hielten den „Hurensohn Arafat“ für den Urheber des Anschlags auf ihren verehrten Anführer. In dieser Gegnerschaft kamen sie mit der israelischen Armee überein, die in den Libanon einmarschiert war, um die Aktivitäten der palästinensischen Gruppen zu stören.

Es ist schwierig, die Glaubwürdigkeit der Aussagen in „Massaker“ einzuschätzen. Die Filmemacher bieten keine Ebene der Überprüfung oder Verifizierung an. Sie haben ihre eigenen Fragen weitgehend geschnitten, um die durchlaufenden Selbstaussagen der Täter nicht zu unterbrechen. Visuell ist „Massaker“ eine lange Kompromissbildung: Die Kamera vollführt alle möglichen Verrenkungen, um die Körper der Sprecher im Detail (von den Zehen bis zu den Haaren auf den Schultern), aber eben niemals in der identifizierenden Aufnahme zu zeigen. Darüber hinaus gibt es einige überlieferte Fotografien zu sehen und ein paar Skizzen, die nicht viel erklären.

Was erhellt „Massaker“ nun? Die Toten von Sabra und Schatila werden bis heute für unterschiedliche politische Zwecke reklamiert. Dazu gehen Monika Borgmann, Lokman Slim und Hermann Theißen deutlich auf Distanz. Sie versuchen aber nicht, den beschränkten politischen Horizont der Täter durch Nachfragen aufzubrechen. Wie die Kameraarbeit zugleich auf Präsentation und Verhüllung zielt, gehen auch Dramaturgie und Montage in dieser ambivalenten Strategie auf: Einerseits verraten diese Männer sehr unmittelbar, was in ihnen vorgeht („Ich bin schweißnass, innerlich koche ich“), andererseits wird ihr Selbstverständnis („Wir gingen dorthin, wo andere nicht hingingen“) durch keine äußere Instanz gebrochen.

Die Annahme, dass Täter besonders genau Aufschluss über ein Verbrechen geben können, erweist sich als trügerisch – sowohl auf einer psychologischen wie auf einer faktischen Ebene. Nichts führt an einer historischen Untersuchung des Massakers in Sabra und Schatila vorbei. Der vorliegende Film ist davon so weit entfernt, wie es ein Verhör in einer Zelle nur sein kann.

BERT REBHANDL

„Massaker“. Regie: Monika Borgmann, Hermann Theißen, Lokman Slim. Deutschland/Schweiz 2004, 99 Min., im Acud, 12.–18. 10., 21 Uhr