„Gibt es noch etwas anderes als die CSU?“

Die Christsozialen sind in Bayern tief verwurzelt – weil sie sich um ihre Nachwuchswähler kümmern. Und um ihre Nachwuchspolitiker. Zur Landesversammlung der Jungen Union Bayern kam sogar der CSU-Vorsitzende am Wochenende in die Provinz, tätschelte Schultern und schüttelte Hände

VON DOMINIK SCHOTTNER

Burghausen ist „der Arsch der Welt, aba a scheena“, sagt die freundliche Taxifahrerin, die Besucher vom Bahnhof zum Gelände der Firma Wacker fährt. Dorthin hat die Junge Union Bayern zur Landesversammlung geladen. Stargast: Edmund Stoiber. Dass man zum schönen Arsch Burghausen nur über Umwege kommt, interessiert den Ministerpräsidenten nicht. Er kommt mit dem Hubschrauber und lässt sich vom eigenen Parteinachwuchs dafür auch noch feiern.

Rund 500 Delegierte und Freunde der Jungen Union (JU) Bayern sind am vergangenen Wochenende nach Burghausen gekommen. Drei Tage lang haben sie acht Hotels in der Stadt an der Salzach belagert, haben den Stadtsaal gemietet und die Bars und Clubs der Stadt leer getrunken. Und alles eigentlich nur, um zu sagen: „Ihr von der CSU nehmt uns und unsere Politik ernst!“ Es ist ein bisschen so wie beim FC Bayern: Ein paar Spieler aus der Amateurmannschaft dürfen bei den Profis mittrainieren. Dürfen grätschen und bolzen, aber immer vorsichtig, damit sich die teuren, verdienten Profis nicht verletzen und ausfallen. Bewährt sich einer der Jungen, kann es sein, dass er im Handstreich erst Profi, dann Stammspieler und schließlich Leistungsträger wird. Der mannschaftsdienliche Rest des Teams hat unterdessen bei anderen, schlechteren Vereinen angeheuert oder mangels Talent die Karriere beendet. Viele Menschen können den FC Bayern und die CSU unter anderem deswegen nicht leiden. Erfolg ist schließlich verdächtig und skeptische Fragen sind daher berechtigt: Warum sollte man überhaupt CSU wählen? Warum sich für sie oder die JU engagieren?

Auf allzu wortreiche Antworten darf man freilich nicht hoffen, wenn man einem der bayerischen 33.000 JU-Mitglieder diese Fragen stellt. Nicht mangelnde Intelligenz oder Intellektualität, sondern die schiere Alternativlosigkeit lassen den 25 Jahre alten Martin Beier vom Kreisverband Altötting zurückfragen: „Gibt es eigentlich etwas anderes als die CSU?“ Martin steht im großen Saal des Belegschaftshauses von Wacker Chemie, größter Arbeitgeber in Burghausen und Sponsor der Landesversammlung. Um den Software-Entwickler wuseln junge Menschen in blauen Polohemden herum, klauben zwischen den Tischen Zeitungen und Papiere auf. Sie sind Helfer des Kreisverbandes, keine Delegierten. Abstimmen dürfen sie nicht, aber dabei sein. „Toll ist das“, findet Martin. Zwei Tage Urlaub hat er sich für die Veranstaltung genommen. An der Stirnseite der Halle hängt eine große blaue Leinwand, auf die zwei Logos mit der Aufschrift „Made in Bavaria“ projiziert werden, dem Motto der Versammlung.

„Ich sag mal so: Vielleicht gibt es auf dem Land einfachere Menschen, die sich fragen: ‚Es geht uns so gut, wieso sollen wir daran was ändern?‘“, erklärt Martin: „Es ist doch so: Wenn man eine bayerische Fahne sieht, denkt man: CSU.“ In zwei Jahren möchte Martin für diese CSU in den Gemeinderat seines Heimatdorfs Haiming gewählt werden. Vorstandsmitglied im Ortsverband ist er schon. Doch auch in Bayern braucht man formal ein politisches Mandat, um mitregieren zu dürfen. Bei der Gemeinderatswahl im Jahr 2002 haben 59 Prozent CSU gewählt, das sind etwas mehr als 900 der 2.600 Haiminger und in etwa so viele (in Prozent) wie bei der Landtagswahl 2003. Bedenkt man, dass nur 1.500 Haiminger wählen waren, kann Martin eigentlich schon jetzt seinen Stuhl im Sitzungssaal anwärmen.

Manfred Weber kennt solche Stühle. Der Landesvorsitzende der JU Bayern ist im Hauptberuf Abgeordneter des Europaparlaments. „Niederbayerns einziger Europaabgeordneter“, wie es auf seiner Internetseite heißt. Er sitzt im CSU-Präsidium, in der CSU-Grundsatzkommission, im Kreisvorstand der CSU Kelheim und im Bezirksvorstand der CSU Niederbayern. Zu Hause ist er also eher selten. Seine Frau bekommt deswegen während des Delegiertenabends am Samstag einen Blumenstrauß überreicht, für die entbehrungsreiche Zeit. Blumen gegen Ehemann – daraus zu schließen, die JU habe ein antiquiertes Familien- und Frauenbild, ist völlig richtig. Und auch ziemlich falsch. Denn: Es ist die große Stärke der jungen Schwarzen in Bayern, nicht nur am rechten Rand des Politiktümpels erfolgreich zu fischen, sondern auch am linken. Einerseits die Ehe als „Wert an sich“ darzustellen und andererseits zu sagen, dass Familie „dort ist, wo für Kinder Verantwortung übernommen wird“, unabhängig von der Lebensform der Eltern. Einerseits in einem Positionspapier zu schreiben, dass die „kategorische Ablehnung von Studiengebühren nicht mehr zielführend ist“, andererseits engagierte Mitarbeiter zu haben, die diese Gebühren in bester Asta-Manier als unsozial geißeln. Und einerseits ist die JU eine politische Organisation, deren ungeschriebene Kleiderordnung akkurat geformtes Haar und Dreiteiler bei den Männern sowie Kostüm und langweilige Hängehaare bei den Frauen vorschreibt. Andererseits gibt es aber auch Sympathisanten wie Michael aus Altötting, der wie ein Neo-Punk daherkommt. Schwarze Converse-Stoffturnschuhe, schwarze Röhrenjeans, lange Wuschelhaare: „I mog hoit Punkmusik.“ Sobald er aber über Politik spricht, verwandelt sich der Punk in einen strammen Konservativen. All das kann die JU Bayern sein. Und noch viel mehr.

In manchen Orten in Bayern ist die JU die einzige Organisation neben der Kirche, die Jugendlichen Freizeitangebote macht. Darin ähnelt sie der heutigen NPD und der PDS der 90er-Jahre in einigen Regionen Ostdeutschlands – strukturell, nicht politisch. Alle drei Parteien haben auf ihre sehr eigene Art und bei krass unterschiedlichen Rahmenbedingungen den vorpolitischen Raum besetzt – um ihn letztlich doch zu politisieren. Bei NPD und PDS sind es Mieterberatungen und Hartz-IV-Sprechstunden, bei CSU und JU Schafkopfrennen, Floßfahrten auf der Isar, Fußballturniere oder Schiffspartys auf dem Main-Donau-Kanal. Am Ende lautet die Erkenntnis bei den Wählern: Die kümmern sich um uns.

Kurz vor der Landesversammlung hatte das Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap gemeldet, dass die CSU nur noch 49 Prozent der Stimmen bekäme, wenn am nächsten Sonntag Landtagswahl wäre. 57 Prozent der Befragten sprachen sich sogar gegen eine erneute Kandidatur Edmund Stoibers für das Amt des Ministerpräsidenten aus. Dabei „kann der doch so gut feiern“, weiß der Aschaffenburger Delegierte Karsten Kolbeck, Steuerfachangestellter und selbsternannter Feiermeister. Sich feiern lassen kann der CSU-Chef aber auch ganz gut. Als Stoiber am Samstagvormittag den Saal auf dem Wacker-Gelände betritt, werden die Scheinwerfer gedimmt und pompös anmutende Rockmusik schwallert durch die Boxen. Nicht mehr jesusgleich, aber mit der Würde eines altgedienten Ministerpräsidenten schreitet Stoiber samt Entourage durch ein Spalier von Händen und Zurufen. Tätschelt hier eine Schulter, erwidert dort ein „Servus“, zwinkert hierhin und nickt dorthin. Kurz: sammelt die Zustimmung derer, die ihn vor einem knappen Jahr noch in Rente schicken wollten. „Sollte das Grummeln der Basis nicht abnehmen, muss in einem halben Jahr einer den Putsch wagen“, sagte der JU-Landesvorsitzende Manfred Weber damals. Heute deckt er Stoiber den Rücken: „Im Denken ist er ein Junger.“ So gesehen ist die Kabinettsverjüngung, die Weber seit langem fordert und Stoiber am Wochenende wieder versprochen hat, eigentlich überfällig.

Dann spricht Stoiber zu seinen Fans. In wenigen Minuten sprintet er rhetorisch von der „machtvollen Demonstration“ der JU-Forderungen über den „schlafenden Riesen Indien“ zur Schuldenpolitik des Berliner Bürgermeisters Wowereit. Stoibers Rede ist im Wortsinn ein Impulsreferat. Aus seinen Gedankensprüngen abzuleiten, der Mann stehe unter Drogen oder wenigstens extrem neben sich, wäre allerdings falsch.

Immer, wenn der „sehr verehrte Herr Ministerpräsident“ lauter wird, guckt ein JUler des Kreisverbands München kurz auf und lauscht. Doch jedes Mal wendet er sich schnell wieder dem Blatt Papier auf dem Tisch vor sich zu, auf dem er gekonnt kritzelt – eine Karikatur des Redners. Am Arsch der Welt kann der große Vorsitzende eben doch nicht alle begeistern.