So wird Sprachlosigkeit verstärkt

betr.: „Deutschpflicht im Kindergarten“, taz vom 9. 10. 06

Als Lehrer an der Offenbacher Fachschule für Sozialpädagogik kenne ich die Dietzenbacher Kindertagesstätten. Sie machen eine gute Arbeit und haben moderne, integrationsfördernde Konzepte.

Dass ihnen nun aufgezwungen werden soll, diese nach den inkompetenten CDU/FWG-Vorgaben zu ändern, ist eine Schande! Kleinen Kindern, die noch kein Deutsch können, ihre Herkunftssprache zu verbieten, bedeutet, ihnen den Mund zu verbieten. Sprachförderung beinhaltet jedoch vordringlich Motivation zum kommunikativen Austausch. Wer zum Schweigen gezwungen wird, kann nichts Neues lernen. Der Zweitspracherwerb baut auf der sicheren Beherrschung der Herkunftssprache auf. Daran mangelt es jedoch vielen Kindern, die in der Folge in beiden Sprachen nur sehr eingeschränkt ausdrucksfähig bleiben. Ein Verbot der Herkunftssprache ist sicher kein geeignetes Mittel, ein sicheres Fundament für den Fremdsprachenerwerb zu legen. Ein Verbot der Herkunftssprache beinhaltet auf der psychischen Ebene ihre Abwertung. Das Kind wird in seinem Selbstwertgefühl gekränkt. Eine Hinwendung zu unserer Kultur wird kaum bewirkt, wenn zuvor Signale ausgesendet werden, die seine Herkunftskultur als unerwünscht erscheinen lassen. Sprachfördernd und integrativ wird der Stadtverordnetenbeschluss keineswegs wirken, er wird ganz im Gegenteil Sprachlosigkeit verstärken und kulturelle Gräben vertiefen.

Ebenso unverständlich erscheint mir die Vorgabe, jede Einrichtung mit Deutschlandfahne und Präsidenten-Foto zu versehen. Kinder im Elementarbereich sind noch damit beschäftigt, ihren Heimatort vollständig zu erfassen und ihn von umliegenden Ortschaften zu differenzieren. Eine Auseinandersetzung mit nationalstaatlichen Gebilden und ihren Regierungsstrukturen steht erst später an. Der Beschluss, den CDU, FWG und „Republikaner“ gemeinsam durchsetzten, verpflichtet die Einrichtungen ferner, sämtliche gesetzlichen Feiertage zu begehen und den Kindern inhaltlich zu erklären. Kulturell bedeutsame Feste zu feiern ist bereits Praxis in den Einrichtungen. Da bedarf es keines Zwangs. Es sollte jedoch jeder Einrichtung überlassen bleiben, wie viele Feste zu bewältigen sind, die Hintergründe welcher Feiertage der kindlichen Entwicklungsstufe angemessen sind und Feste aus welchen Kulturen neben den deutschen Feiertagen ebenfalls gefeiert werden. Hier sind in der Regel auch Eltern eingebunden, deren Mitarbeit auch aus Integrationszwecken dringend erforderlich ist. Die Entscheidung darüber sollte weiter den Fachkräften und den Eltern vorbehalten bleiben, die verstehen mehr davon. MICHAEL KÖDITZ, Frankfurt am Main