Die Technik des Glaubens

SAKRALDOKU Der Film „Pfarrer“ von Stefan Kolbe und Chris Wright zeigt den Alltag am Predigerseminar in der Lutherstadt Wittenberg zwischen profaner Arbeit und persönlichen Zweifeln

Mehr noch als in anderen Filmen intervenieren Kolbe und Wright in „Pfarrer“

VON MATTHIAS DELL

„Und Gott sprach: Es werde Licht!“, lautet einer der Sätze, mit denen alles anfängt in der Bibel. Es ist deshalb eine programmatische Pointe, dass „Pfarrer“ mit einem Streichholz beginnt, das in das Schwarz des Filmbilds hinein eine Kerze entzündet. Der neue Dokumentarfilm von Stefan Kolbe und Chris Wright wird auf das Motiv, das für den Film und die Religion auf verschiedene Weise wesentlich ist, immer wieder zurückkommen.

Aber im Gegensatz zu den Zwischenschnitten auf die Himmel über Wittenberg, in denen die Sonnenstrahlenfarben in ihrer erhabenen Schönheit durchdekliniert werden von dünnster Helligkeit bis zum drückendsten Rot, erscheint das wackelige Streichholzbild als intimes, sehr subjektives Licht Gottes.

„Pfarrer“ spielt am Predigerseminar in Wittenberg, wo Almut, Ulrike, Christoph, Lars und die anderen während ihrer Vikarszeit immer wieder zusammenkommen. „Technik des Glücks“ hieß ein früherer Film von Kolbe und Wright, in „Pfarrer“ geht es um die Technik des Glaubens.

Wie Ulrike und Christoph über ihren Predigttexten sitzen am Rechner, wie Stimmbildung geübt wird, wie Almut in der Schlosskirche beim Segen durcheinanderkommt: „Der Herr lasse sein …, ach, Mann, Scheiße“ – Kolbe und Wright geht es immer auch um die profane Arbeit an der Glaubenslehre. Nicht zur Entzauberung, sondern zur Versicherung.

„Ein’ feste Burg ist unser Gott“, liest die Kamera an der Schlosskirche in Wittenberg vor dem strahlenden Blau des Himmels. Wie man das wird – fest, Burg –, ist in gewisser Weise eine Frage, die schon frühere Filme des Regieduos, bestehend aus Ton- (Wright) und Kameramann (Kolbe), gestellt haben. In „Kleinstheim“ (2010) ging es um das Aufwachsen unter den prekären Bedingungen eines Kinderheims, und obwohl „Pfarrer“ von der Ausbildung künftiger Sinnstifter handelt, sind die eigenen Zweifel lange nicht unter Dach und Fach.

Die Unbehaustheit von Lars spürt man bis in das ungeduldige Vibrieren seines Sächsisch, das wie ein Feedback aller Zweifel brummt im Gespräch mit dem Studienleiter. Später wird der Film ihn in einer Werkstatt wiederfinden, in der er sich mit erfüllender Handarbeit von der eigenen Skepsis ablenkt. Lars ist eine typische Kolbe-und-Wright-Figur: ein nervöser, poröser Mensch wie Sarah in „Kleinstheim“ oder Han-Jo Werner in „Technik des Glücks“ und „Das Block“, einer, der auf der Suche nach einer Stabilität, wie Identität sie verspricht, immer wieder ausbüxen muss von der Gemeinschaft, zu der er gehören will.

„Pfarrer“ verhandelt das Verhältnis vom Ich zur Welt, und dass die hier göttlich verstanden wird, verschärft nur den Reflexionsprozess, das dauernde Hin und Her zwischen existenzieller Einsamkeit und dem Aufgehobensein in etwas Größerem, Richtigem. „Wittenberg hat nichts mit der echten Realität zu tun“, sagt Ulrike, „das ist hier eine Kunstwelt.“ Und erklärt dann den Vorzug des konzentrierten Seminars: „Das Gruppenfeeling ist ja geil, das ist ja wie ’ne Droge.“ Bei Almut deutet sich an anderer Stelle an, dass Kirche und Glauben für sie einen Halt bedeuteten, als ihre Kindheit am Ende der DDR in eine unruhige Zeit geriet.

Denn so aufdringlich und bestimmt Kolbe und Wright ihren Protagonisten folgen, sich etwa an die Fersen des joggenden Christoph heften, dessen Lauf durch die Dämmerung in eine eindrucksvolle Sequenz montiert ist, die zur Kraftprobe mit den eigenen Dämonen anschwillt – die Filmemacher agieren freundlich. Man merkt das an der Ernsthaftigkeit und Zugewandtheit, mit der sich die Protagonisten zu erklären versuchen.

Und mit der sie nicht zuletzt die Störung ihrer Selbstvergewisserung akzeptieren. Denn mehr noch als in anderen Filmen intervenieren Kolbe und Wright in „Pfarrer“, werfen, wie in der Runde, in der darüber diskutiert wird, wie sich das Evangelium zeigt, die Fragen auf, an denen sich die kommenden Glaubensvertreter erweisen müssen. Die Intensität dieser Prüfungen zeigt eine erbetene Abblende an: Die Öffentlichkeit, die durch die Kamera hergestellt wird, erscheint plötzlich als zu große Bedrohung für theologische Nöte.

Gott und alles, was sich damit an Kraft verbindet, ist in „Pfarrer“ eher wackeliges Streichholz als 100.000-Watt-Flutlicht.

■ „Pfarrer“. Regie: Stefan Kolbe, Chris Wright. Dokumentarfilm. Deutschland 2014, 90 Min. Ab 10. 4. in Eiszeit, Babylon Mitte, Kino in der Brotfabrik. Am 13. April um 13 Uhr im Filmtheater am Friedrichshain Vorführung mit Gästen