Diagnose der Nation: „Viel Leiden und wenig Hoffnung“

FRANKREICH Der neue Premier Manuel Valls kann eine solide Mehrheit vorweisen. Auch Grüne für Valls

Mit bebender Stimme erklärte der geborene Katalane, wie sehr er Frankreich liebe

AUS PARIS RUDOLF BALMER

Die Regierungserklärung des neuen französischen Premierministers Manuel Valls ist nicht nur vom eigenen Lager, sondern auch in den Medien mehrheitlich mit Applaus bedacht worden. „Wahrheit, Effizienz und Beruhigung waren die Schlüsselbegriffe in der Rede von Valls, den man gern beim Wort nehmen möchte“, meint beispielsweise die katholische Tageszeitung La Croix. Valls habe den richtigen Ton gefunden, meint das Wirtschaftsblatt Les Échos: „Inhaltlich ist seine Antwort auch nicht gerade schüchtern. Sie beeindruckt durch klare und konkrete Entscheidungen und Ideen.“

In der Vertrauensabstimmung am Dienstagabend sprachen ihm 306 Abgeordnete ihr Vertrauen aus, 239 stimmten dagegen, wobei außer der bürgerlichen Opposition auch die Linksfront geschlossen ihre Zustimmung verweigerte. Der Stimme enthielten sich elf Sozialisten des linken Parteiflügels, denen Valls mit seiner Sparpolitik zu sozialliberal ist. Dass hingegen die meisten grünen Abgeordneten von Europe Ecologie – Les Verts (EELV) für ihn votierten, kann der Premierminister als wichtigen Anfangserfolg verbuchen. Die Parteileitung von EELV hatte beschlossen, sich nicht mehr an der Regierung zu beteiligen, obwohl Valls ihr ein Super-Umwelt- und Energieministerium angeboten hatte.

Für den neuen Regierungschef ist es von Bedeutung, seine Arbeit nicht mit der Zitterpartie einer hauchdünnen Mehrheit beginnen zu müssen. Valls weiß und sagt, dass Vertrauen Mangelware ist in Frankreich. „Viel Leiden und wenig Hoffnung“, lautete seine Diagnose der Gemütslage der Nation.

Da Valls eigentlich nur eine von Präsident François Hollande vorgezeichnete Linie umsetzen soll, war es eine Überraschung, dass er eine Reform für eine tiefgreifende territoriale Neuordnung vorschlug: Die Zahl der heute 22 Regionen soll halbiert werden, und längerfristig sollen die aus Napoléons Zeiten stammenden Départements ganz verschwinden. Das Ziel wäre es, administrative Doubletten zu streichen und so Kosten zu sparen. Noch vor dem Sommer soll ein ebenfalls ehrgeiziges Gesetz zur Energiewende verabschiedet werden. An Hollandes Sparplänen hält Valls mit der Ankündigung einer Reduktion der öffentlichen Ausgaben um 50 Milliarden in drei Jahren unvermindert fest. Dabei sagte er, 19 Milliarden Euro sollten beim Zentralstaat eingespart werden, 10 Milliarden Euro bei der Krankenversicherung und 10 Milliarden Euro bei den Gebietskörperschaften. Zugleich aber möchte er den Unternehmen und den Haushalten mit bescheidenem Einkommen mit Steuererleichterungen im Umfang von 38 Milliarden entgegenkommen.

Besonders beachtet und kommentiert wird jedoch der patriotische Elan des Premiers. Mit bebender Stimme erklärte der geborene Katalane, der im Alter von 20 Jahren erst Franzose wurde, wie sehr er diese „Republik der Toleranz und der Solidarität“ liebe, denn es gebe ja nicht viele Länder, in denen ein im Ausland geborener Bürger höchste Ämter bekleiden könne.

Auch im Élysée-Palast gab es noch einen wichtigen Wechsel. Neuer Generalsekretär und damit rechte Hand von Hollande ist Jean-Pierre Jouyet. Er ist einer der engsten Freunde des Präsidenten. Er war aber auch unter Sarkozy Staatssekretär für die EU, danach Vorsitzender der Börsenaufsicht und zuletzt Chef der staatlichen Investitionsbank BPI. Als „graue Eminenz“ im Elysée hat ihm Hollande nun eine andere Schlüsselposition anvertraut.