„Guck mal, der Wachtelkönig“

Der erste Leserbrief. Und dann auch noch an die eigene Zeitung, die plötzlich nicht mehr die ist, bei der man einmal gearbeitet hat. Die man im Urlaub gelesen hat und sich fühlte, als käme man nach Hause. Ein Willkommensgruß für die taz nord von einer früheren Volontärin der taz hamburg

von Judith Weber

Sehr geehrte Hamburg-Redaktion der taz nord, verehrte Nord-taz in Hamburg,

ich weiß nicht mal, wie ich Euch ansprechen soll. Mein erster Leserbrief, und dann gleich an eine quasi fremde Zeitung!

Ich schreibe, um Euch zu beschimpfen und mich zu bedanken. Für die Antwort auf eine hakelige Frage: Wird man mit dem Alter konservativer? Nach zwei Wochen taz nord-Lesen kann ich bestätigen: Ja, man wird konservativer. Und es fühlt sich nicht gut an, das von seiner Zeitung unter die Nase gerieben zu bekommen.

Im Amrum-Urlaub die taz hamburg zu lesen war immer wie ein kurzer Besuch in der alten Heimat. Der erste Blick: Stehen noch dieselben Namen unter den Texten? (Meistens ja.) Der zweite: Stehen noch die gleichen Themen in der Zeitung? (Ja.) Sieht das Layout immer noch gleich aus? (Ja.) Hat sich irgendwas verändert? (Nein. Gut.) „Guck mal, der Wachtelkönig“, sagte ich dann zu meinem Liebsten. „Über den habe ich damals auch schon geschrieben.“ Und der Liebste lächelte und hörte sich die Geschichte vom Wachtelkönig an. Oder die von der Elbvertiefung. Oder die von prügelnden Polizisten. Ein heimeliges Gefühl. Bis plötzlich „taz nord“ über meiner taz hamburg stand.

„Guck mal, die Bremer Stadtmusikanten“, sagte ich in diesem Urlaub. „Guck mal, weißrussische Kunst in Lübeck“, „eine alternative Schule in Bassum“. „Hm“, sagte der Liebste und las weiter den Inselboten. Natürlich habe ich all diese Texte sofort kleinlich gelesen – es galt ja zu beweisen, dass das Neue schlechter war als das Alte. Ich suchte nach peinlichen Fehlern, platten Sprachbildern und falschen Metaphern, die ich an den Hohlspiegel hätte schicken können. Wenigstens nach Rechtschreibfehlern.

Nichts – nicht mehr als früher jedenfalls, vielleicht sogar weniger. Die Texte waren sogar interessant. Also lag es wohl an mir, der konservativen Zeitungsleserin.

„Was interessiert einen Hamburger, was in Bremen passiert?“ hatte es während meiner Ausbildung in Hamburg geheißen (in Bremen galt der Spruch bestimmt umgekehrt). Das saß tief. Aber genau betrachtet ist eine gute Geschichte eine gute Geschichte – egal, wo sie spielt, so banal ist das. An dieser Erkenntnis kaute ich gefühlte fünf Urlaubstage. Als ich sie verdaut hatte, wurde ich lockerer. Je länger der Urlaub dauerte, desto stärker las ich zuerst die spannenden Themen. Nicht mehr nur die, die in Hamburg spielten.

Dann tat ich, was konservative Zeitungsleserinnen tun: Ich schrieb einen Leserbrief, diesen, den ersten meines Lebens. Leserbriefe haben ja drei Funktionen: Irgendeinen Zustand beklagen, sich selbst als überaus wichtig darstellen und Forderungen aufstellen. Geklagt ist hier genug, wichtig gemacht wahrlich auch. Also, hier meine Forderungen an Euch, liebe taz nord:

Erstens: Zeigt Trends auf! Und verbindet die Städte, über die Ihr berichtet, so oft wie möglich. Eine Geschichte über Dinge, die Hamburg, Bremen und Hannover gemeinsam haben, ist deutlich spannender als drei Geschichten aus den einzelnen Städten.

Zweitens: Ausgerechnet die immer ähnliche Seite 1 ist vom alten taz hamburg-Konzept geblieben. Vierspaltiges Bild, Postkarte quer, daneben der Kommentar. Das kann nun auch weg.

Und drittens: Überlebt bitte mindestens weitere 25 Jahre! So einen Kulturschock ertrage ich nicht in jedem Urlaub.

Hinweis: Judith Weber, 31, hat in Dortmund Journalistik studiert und 1996-1998 bei der taz hamburg volontiert. Jetzt ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Dortmund und würde der taz nord gern viele weitere Volontäre vermitteln.