Die richtige Dosis

Die Berichterstattung im Osten über Rechtsextremismus krankt an alten journalistischen Strukturen. Dabei ist oft jedes einzelne Wort wichtig. Denn Sprache erzeugt ein gesellschaftliches Klima

Interview von PETRA SCHELLEN

taz: In Mecklenburg-Vorpommern berichten – wie in der ganzen Ex-DDR – vielfach Journalisten, die früher für die SED-Bezirksorgane gearbeitet haben. Hat das einen Einfluss auf die Berichterstattung über Rechtsextremismus?

Britta Schellenberg: Es ist in der Tat ein Problem, dass das Personal in den dortigen Medien teils sehr überaltert ist. Diese Menschen wurden noch in SED-Zusammenhängen eingestellt und sind daher nicht immer offen im Umgang mit dem Thema Rechtsextremismus. Es gibt natürlich auch jüngere, politisch engagierte Journalisten, die gute, differenzierte Berichterstattung leisten. Aber sie sind in der Minderheit.

Beziehen ältere Ostjournalisten diese differenzierte Position nicht, weil sie in dem Glauben erzogen wurden: Den Faschismus gab es nur in Westdeutschland?

Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass rechtsextreme Auffassungen bei Menschen, die die DDR-Strukturen heute noch bejahen, dreimal so häufig anzutreffen sind wie bei den anderen. Es ist eine Tatsache, dass in den östlichen Bundesländern demokratisches, zivilgesellschaftliches Engagement und der Umgang mit Anderssein ein größeres Problem darstellen als im Westen.

Muss man warten, bis die Ex-SED-Journalisten abdanken?

Es ist wichtig, dass sich diejenigen, die sich gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus engagieren wollen, stärker vernetzen. Hier wären auch die Politik und Stiftungen gefragt.

Sie haben von einem „adäquaten Bild des Gefahrenpotenzials“ gesprochen, das die Medien zeichnen sollen. Wie sieht das aus?

Über konkrete Anlässe muss man selbstverständlich berichten, aber das Thema Rechtsextremismus muss außerdem in den Kontexten Migration und Fremdenfeindlichkeit aufgearbeitet werden. Und man muss fragen, inwiefern viele Menschen unseres Systems und unserer Politiker überdrüssig sind. Inwiefern führt auch das zu Rechtsextremismus? Wobei es in den neuen Bundesländern ja einen Fremdenhass ohne Fremde gibt, dem man auch durch Integrationsdiskussionen nicht beikommt.

Was können dann die Medien tun?

Zum Beispiel die Verbindung zwischen Wirtschaft und Internationalität aufzeigen. Das Argument, dass Ausländer hier nicht investieren, weil sie Angst haben, überfallen zu werden, könnte gerade Menschen, die Angst vor Arbeitslosigkeit haben, überzeugen.

Wenn es sich beim Fremdenhass aber um einen irrationalen Reflex handelt: Kann man das Problem über inhaltliche Diskussion dann überhaupt lösen?

Man kann das Problem natürlich nicht allein über inhaltliche Diskussionen lösen. Aber im öffentlichen Diskurs mit Themen wie Migration sind die Medien schon gefragt. Denn wenn im Zusammenhang mit Straftaten zum Beispiel immer wieder explizit erwähnt wird, wenn ein Täter Türke oder Albaner ist, ist das sehr problematisch. Das erzeugt ein gesellschaftliches Klima, das auch in rechtsextreme Orientierungen umschlagen kann.

Würden Sie demnach für ein Vokabular der Selbstbeschränkung bei Journalisten plädieren?

Unbedingt.

Die Journalisten, die explizit vom türkischen, aber nicht vom deutschen Täter schreiben, reden sich aber oft auf ihre Chronistenpflicht heraus.

Ich sage immer, so lange man nicht schreiben würde „der deutsche Täter“, kann man auch nicht schreiben „der türkische Täter“. Das hat keine Rolle zu spielen – außer wenn es sich zum Beispiel um einen Ehrenmord handelt, bei dem man etwas zum kulturellen Hintergrund erklären muss.

Aber der betreffende Journalist wird sagen: Der Einfluss einer einzelnen Vokabel ist nicht messbar.

Es gibt Untersuchungen, die klar belegen, dass die Verwendung solcher Worte oder die kriminalisierende Thematisierung von Minderheiten äußerst problematisch ist. Hans-Bernd Brosius und Frank Esser haben in ihrem Buch „Eskalation durch Berichterstattung“ gezeigt, dass die Art der Berichterstattung – etwa über die Kurden – die Aggression gegenüber dieser Gruppe befördert hat.

Fotohinweis: Britta Schellenberg, 34, seit 2002 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Münchner Centrum für angewandte Politikforschung.