Radikal säkular
: Religiös unmusikalisch

Für Arendt stellen die Folgen der Aufklärung eine unhintergehbare Tatsache dar, die Anlass weder zu unverhohlenem Fortschrittsoptimismus noch zu einer unversöhnlichen Trauer des Verlustes bietet. In der deutschen Tradition des 20. Jahrhunderts findet man solch eine radikal säkulare Haltung wohl am ehesten noch bei den Philosophen Helmuth Plessner und Karl Löwith. Arendt teilt mit diesen die religiöse und ideologische Unmusikalität, die sie unempfänglich machte für die Lockungen des theologischen Absolutismus, auch für dessen subtilere Spielarten, wie die negative Theologie oder den philosophischen Messianismus.

Heute kommt die religiöse Versuchung freilich viel anspruchsloser daher und übt wohl gerade dadurch eine verzaubernde Anziehungskraft auf Intellektuelle aus. Die geistigen Restaurationsbestrebungen unserer Tage wiederholen den alten Verdacht, Säkularisierung und Humanismus zehrten von einer ihnen fremden, höheren Autorität. Deshalb gehöre die Zukunft Europas auch einem restaurierten Christentum.

Kann die Aufklärung wirklich nicht auf eigenen Füßen stehen? Mit Arendt kann sie es und muss sie es sogar, so wie sie es in Europa bereits seit zweihundert Jahren tut. Auch hierfür steht Arendts Motiv einer Autonomie des Politischen, welche die Autonomie humaner Selbstbehauptung einschließt – nicht aus Anmaßung, sondern aus Verantwortung. Deshalb findet man in Arendts politischer Theorie keine Geschichtsphilosophie, keinen Geist der Utopie; und nicht einmal eine milde waltende kommunikative Vernunft leitet das bessere Argument zum sicheren Sieg. Was mit und nach Arendt bleibt, ist die Freiheit und die Zumutung unseres Urteilsvermögens im politischen Handeln. MONIKA BOLL

Die Autorin ist Publizistin und hat über Hannah Arendt ein Monografie veröffentlicht. („Zur Kritik des naturalistischen Humanismus – Der Verfall des Politischen bei Hannah Arendt, Wien 1996“)