KLAUS HEYMACH ÜBER DEN DEUTSCHEN GENERALVERDACHT GEGEN DEN JEMEN
: Reflexhafter Aktivismus

Sippenhaft und Kollektivstrafen gehören in den jemenitischen Stammesgebieten seit Jahrhunderten zum Alltag. Für die Untat eines Cousins haftet im Ernstfall der ganze Clan, das dient der Abschreckung und verschafft den Opfern Genugtuung. Dass auch die Bundesregierung zu solchen Maßnahmen greift, sorgt in Sanaa jetzt für Verwunderung. Bis auf weiteres darf kein Flugzeug aus dem Jemen mehr in Deutschland landen.

Doch welche Schuld trifft Yemen Airways an den Paketbomben, die internationale Frachtmaschinen nach Europa transportierten? Was rechtfertig den Generalverdacht gegen Flugreisende aus einem Land, in dem – noch immer – Dutzende Lehrer, Ärzte und Hebammen aus Deutschland arbeiten, einem Schwerpunktland deutscher Entwicklungshilfe, wo an den Unis und in den Schulen gerade der Deutschunterricht ausgeweitet worden ist?

Die explosive Post aus dem Jemen hat die Sicherheitslücken im Luftfrachtverkehr offengelegt. Flugreisende reiben sich ungläubig die Augen: Während sie Hustensaft und stilles Wasser ausleeren und ihre Schuhe ausziehen müssen, rollen scharfe Sprengsätze übers Laufband in den Bauch der Maschine. Damit wird die Sicherheit, die Nacktscanner und bewaffnete Flugbegleiter suggerieren sollen, endgültig zur Schimäre.

Es würde viel Zeit und Geld kosten, jedes Päckchen nur annähernd so genau zu kontrollieren wie die Fluggäste. Doch wenn die strengen Passagierkontrollen wirklich ernst gemeint sind, dann müssen die gleichen Standards für Fracht und Gepäck gelten. Alles andere verbessert allein die gefühlte Sicherheit. Denn wer will ausschließen, dass die nächste Paketbombe in Indonesien, Marokko oder Bangladesch aufgegeben wird?

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