: Eine Frage des Prinzips
Wladimir Kramnik setzt sich in der Verlängerung des Duells gegen Wesselin Topalow durch und darf sich nun alleiniger Schachweltmeister nennen. Der Verlierer legt derweil in der Toiletten-Affäre nach
von hartmut metz
Wladimir Kramnik warf die Fäuste nach oben und klatschte anschließend die Hände über dem Kopf zusammen. Solch einen Gefühlsausbruch des Stoikers vom Schwarzen Meer hatten die Schachfans nur 1994 erlebt, als der damals 20-jährige Russe seinen legendären Landsmann Garri Kasparow erstmals schlagen konnte. Diesmal hielt Kramnik bei der WM-Titelvereinigung den Bulgaren Wesselin Topalow nieder und ist nach 13 Jahren wieder der einzige Schachweltmeister auf dem Globus.
Die Verlängerung verlief bis zum 2,5:1,5-Endstand so dramatisch wie das Match über zwölf Turnierpartien im kalmückischen Elista. Dank eines kampflosen Sieges wegen der so genannten Toilettenaffäre hatte Topalow ein 6:6 erzielt. Im Schnellschach mit nur noch 25 Minuten Grundbedenkzeit gewann Kramnik nach dem Auftaktremis das zweite Duell mit den weißen Steinen. Der Champion des Schach-Weltverbandes Fide glich jedoch postwendend aus. Danach baute Kramnik erneut mit Weiß eine aussichtsreiche Stellung auf und eroberte einen Bauern. Im 44. Zug patzte Topalow in schwieriger Lage. Kramnik realisierte dies sofort und berichtete gerne von dem Augenblick: „Der Moment, nachdem Wesselin den Turm nach c5 zog, war für mich sehr emotional – ich fühlte mich so glücklich. Die Freude wich, als ich mit dem Turmschach auf b7 antwortete.“ Sekunden danach erkannte Topalow, was er angerichtet hatte, und gab auf.
So bleibt der Fide wohl ein gerichtliches Nachspiel mit ungewissem Ausgang und eine Hängepartie mit weiterhin zwei Weltmeistern erspart. Kramnik wäre im Falle einer Niederlage vor den Internationalen Sportgerichtshof (CAS) in Lausanne gezogen. Von den elf ausgespielten Turnierpartien gewann er drei und Topalow nur zwei. Ab der sechsten Runde spielte Kramnik unter Protest weiter.
Wenige Minuten nach dem letzten Zug befand der 31-Jährige, sein Erfolg sei „nur mit meinem Sieg über Garri Kasparow zu vergleichen“. Den inzwischen zurückgetretenen 44-Jährigen hatte Kramnik 2000 als Weltmeister im klassischen Schach entthront und den Titel 2004 gegen den Ungarn Peter Leko mit einem Sieg in der letzten Partie verteidigt. Kasparow hatte sich 1993 von der Fide losgesagt und die WM in Eigenregie ausgerichtet. Der Schach-Weltverband schloss daraufhin den Weltranglistenersten aus und richtete eigene Weltmeisterschaften aus. Vor Jahresfrist hatte sich dabei Topalow in Argentinien durchgesetzt.
Kirsan Iljumschinow, Präsident Kalmückiens, der Fide und Sponsor des geteilten Preisgeldes von einer Million Dollar, zeigte sich „beeindruckt vom Einsatzwillen beider Akteure. Ich habe in den elf Jahren meiner Fide-Amtszeit noch nicht so ein spannendes und kompromissloses Match wie das zwischen Kramnik und Topalow gesehen.“ Die 300 Millionen Besucher der WM-Webseite führte Iljumschinow auf das Bestreben beider Weltmeister zurück, „selbst in Remisstellungen um den Sieg zu kämpfen“.
Dies verdankten die Fans vor allem „La Topadora Topalov“. „Der Bulldozer“, wie der 31-Jährige an seinem spanischen Wohnsitz genannt wird, akzeptierte auch bei der WM nur in ausgekämpften Stellungen Friedensschlüsse. Da der Bulgare zudem mutig attackiert, hätte er als Liebling der Massen gegen den Sicherheitsfanatiker Kramnik untergehen können. Doch mit den hanebüchenen Vorwürfen, der Russe würde auf der nicht videoüberwachten Toilette mit einem Computer betrügen, verscherzte sich Topalow alle Sympathien. Ein irischer Fan brachte es auf den Punkt: „Vorher waren 80 Prozent für ihn und 20 Prozent für Kramnik. Nach der Posse seines Managers Silvio Danailow lautet das Verhältnis 5:95. Topalows Name wird für immer mit Schmutz bedeckt sein.“
Auch ansonsten muss der Ex-Champion als großer Verlierer in der kalmückischen Steppe gelten: Im Gegensatz zu Kramnik ist er nicht für die nächste WM im September in Mexiko City qualifiziert. Zudem wird das mit einer Million Dollar dotierte WM-Duell im Frühjahr hinfällig, für das der Aserbaidschaner Teimur Radjabow das Geld aufgetrieben hatte. Gut möglich, dass nun Kramnik kassieren darf. Uneinsichtig kündigte Topalow direkt nach der Landung in Bulgarien an, sein „Danailow werde weitere Details zur Toilettenaffäre veröffentlichen“.
Kramnik kann jetzt darüber lachen. „So, wie sich das gegnerische Team verhalten hat, war mein Sieg eine Frage des Prinzips. Ich bin froh, trotz der kampflosen Niederlage und unter diesen Umständen gewonnen zu haben“, sagte der einzige Schachweltmeister.
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