OFF-KINO: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Er drehte Filme mit Budgets, die bei einer heutigen Produktion nicht einmal mehr für den Catering-Service reichen würden: Hugo Haas war ein einstmals gefeierter Schauspieler und Regisseur in der Tschechoslowakei vor dem Zweiten Weltkrieg, der sich nach der Flucht vor den Nazis in seinem amerikanischen Exil zunächst mit kleinen Nebenrollen durchschlug, ehe er 1951 seine gesamten Ersparnisse in die Produktion des melodramatischen und abgründigen Film noir „Pickup“ steckte. Bereits mit seiner ersten amerikanischen Regiearbeit schuf Haas sich ein Muster, dem er auch in Zukunft treu bleiben sollte. Immer wieder erzählt er in seinen Filmen einander ähnliche Dreiecksgeschichten, morbide Variationen von „Der blaue Engel“ und „The Postman Always Rings Twice“: Ein älterer Mann, der es zu bescheidenem Wohlstand gebracht hat (kongenial von Haas selbst verkörpert), wird in kürzester Zeit von einer sehr jungen und sehr blonden Frau ruiniert, die ihn mit einem juvenilen Liebhaber betrügt und ihm nach Sparbuch und Leben trachtet, während er sich masochistisch seinem Abstieg hingibt. In „Pickup“ spielt Haas einen Streckenwärter der Bahn, der als Witwer einsam in einem abgelegenen Häuschen wohnt. Gerade ist ihm sein Hund verstorben, und so macht er sich auf den Weg in die Stadt, um einen neuen Welpen zu besorgen. Heimkommen wird er stattdessen mit Beverly Michaels, deren Einführung in die Geschichte einem glatt den Atem verschlägt: In Untersicht aufgenommen, scheinen ihre Beine bis zum Hals zu reichen; demonstrativ Kaugummi kauend sitzt sie auf einem Karussellpferd und scheint sich an den Meistbietenden versteigern zu wollen. Kommerzielle Erfolge konnte Haas mit seinen Filmen allerdings ebenso wenig erzielen wie Kritikerlob. Zu europäisch müssen den Amerikanern seine Themen vorgekommen sein, zu absurd die Figuren und Situationen – meist wurde er verkannt und verlacht. Als das amerikanische Studiosystem Ende der fünfziger Jahre zusammenbrach und für „B-Filme“ kein Bedarf mehr bestand, endete auch Hugo Haas’ Karriere. Er kehrte nach Europa zurück und lebte bis zu seinem Tod 1968 in Wien. (OF, 8. 11. Babylon Mitte)
Die Wochenend-Nachmittags-Reihe im Arsenal heißt „Klassiker nicht nur für Kinder“, und das trifft auf Tim Burtons bunt-fantasievolle, aber ebenso makabre Verfilmung von Roald Dahls „Charlie und die Schokoladenfabrik“ (2005) natürlich in besonderem Maße zu: Denn wo sonst werden im Kinderfilm schon Kinder hinterhältig gequält? Nun gut, es handelt sich natürlich um verzogene und arrogante Gören, die es nicht besser verdient haben: Beim Besuch in den Süßwarenlandschaften der Fabrik des Schokoladenherstellers Willy Wonka (Johnny Depp) wird ihnen ihre hemmungslose Gier zum Verhängnis, und sie tappen in ausgeklügelt sadistische Fallen. Nur der nette Charlie lässt sich vom Eye-Candy nicht blenden und freundet sich mit dem einsamen und traumatisierten Wonka an. Pädagogisch mindestens so wertvoll wie der „Struwwelpeter“. (OmU, 7.11. Arsenal) LARS PENNING
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