„Mehr deutsche Polizisten wären gut“

Fünf Jahre nach dem Sturz der Taliban sieht Grünen-Chefin Claudia Roth die Situation der Frauen in Afghanistan „an einem Scheidepunkt“. Um einen Rückfall in die Rechtlosigkeit zu verhindern, sollte sich Deutschland noch stärker im Land engagieren

INTERVIEW KATHARINA KOUFEN

taz: Frau Roth, nach dem Sturz des Taliban-Regimes 2001 waren Sie zunächst euphorisch: Die Situation der Frauen würde sich jetzt endlich verbessern. Wie sehen Sie das heute, nach Ihrem Besuch in Afghanistan?

Claudia Roth: Einiges ist besser geworden, aber vieles liegt noch im Argen. Afghanistan befindet sich in der Frauenfrage an einem Scheidepunkt. Geht es nach vorn oder zurück in Rechtlosigkeit?

Woran entscheidet sich das?

Vor allem daran, wie sich im Süden die Lage entwickelt. Dort gewinnen die talibanischen Kämpfer wieder an Einfluss. Da werden Männerschulen gebaut, um Kämpfer zu trainieren. Wenn die sich durchsetzen, werden sie die Rechte der Frauen wieder zurückschneiden. Es gibt auch Bestrebungen, das Frauenministerium in Kabul wieder abzuschaffen. Das wäre verheerend!

Was sagen die Frauen selbst?

Sie erzählten mir von drei großen Problemen. Erstens: Die häusliche und außerhäusliche Gewalt nimmt wieder zu, und die Polizei ist dabei Teil des Problems. Zweitens: Die Ausbildung für Mädchen ist nach wie vor sehr umstritten. Mädchenschulen werden angezündet, Lehrer werden bedroht. Drittens: Der Krieg hat viele Witwen hinterlassen. Die sitzen mit ihren Kindern da und haben kein Einkommen.

Hat sich für die Frauen überhaupt etwas verbessert?

Wenn ich an 2000 zurückdenke, hat sich das Straßenbild sehr verändert, zumindest in Kabul. Damals durften Frauen, wenn überhaupt, nur mit Burka auf die Straße. Heute gibt es immer noch Frauen mit Burka, aber sie müssen sie nicht mehr tragen und vor allem: Die meisten Frauen tragen heute Kopftücher.

Sie haben 2001 um den Erhalt der rot-grünen Koalition willen für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan gestimmt. War dies aus heutiger Sicht richtig?

Ich habe nicht wegen des Erhalts der Koalition dafür gestimmt. Das war für mich eine der schwersten Entscheidungen. Rückblickend sage ich, die Beteiligung an Isaf, also der Assistenz am Wiederaufbau des Landes, war richtig. Der Antiterrorkampf der USA im Rahmen von Enduring Freedom dagegen ist kontraproduktiv. Die führen sich auf wie eine Besatzungsmacht!

Unterscheidet die afghanische Bevölkerung zwischen Isaf und Enduring Freedom?

Die meisten kennen vielleicht diesen Unterschied nicht, aber sie differenzieren nach Nationen, und deutsche Soldaten genießen ein hohes Vertrauen.

Wie ist die Stimmung bei den deutschen Soldaten?

Die Sicherheitslage hat sich verschärft, die Freizügigkeit in Kabul ist vorbei. Einer der obersten Militärs, mit denen ich geredet habe, sagte mir: Wir sind nur ein Mosaikstein. Der zivile Aufbau – Wasser, Strom, Justiz – muss vorangetrieben werden. Militär kann das gar nicht. Nach fünf Jahren Wiederaufbau sitze ich beim Außenminister zum Abendessen, und da geht fünfmal der Strom aus, immer noch!

Wo sind die Milliarden hin, die seit 2001 ins Land flossen?

Die Korruption ist nach wie vor ein großes Problem. An zentralen Stellen sitzen Leute, die richtig Dreck am Stecken haben.

Plädieren Sie für mehr Geld?

Vor allem plädiere ich für sichtbare Wiederaufbauprojekte und eine Verstärkung für die deutschen Polizisten, die ja federführend sind beim Aufbau der afghanischen Polizei. Ich finde es daher gut, wenn die Bundesregierung jetzt tatsächlich mehr Polizisten nach Afghanistan schicken will. Und: Die Beamten, die von den Bundesländern geschickt werden, brauchen eine bessere Behandlung. Die kriegen ihre Rückflüge nicht bezahlt, wenn sie Singles sind. Und wenn sie nach Deutschland zurückkommen, sind ihre Posten besetzt und sie müssen sich wieder hinten anschließen. Dabei machen die in Afghanistan super Arbeit.

Was denn zum Beispiel?

Indem sie sich zum Beispiel auch darum bemühen, Frauen zur Polizeiausbildung zu motivieren. Dafür mussten sie extra Räumlichkeiten schaffen.

Haben Sie auch über die Vorwürfe von Murat Kurnaz gesprochen, der kürzlich berichtet hat, er sei 2002 in Afghanistan von zwei deutschen Soldaten geschlagen worden?

Ich habe das von mir aus angesprochen. Die Isaf-Leute haben alle gesagt, sie können sich das bei ihren Leuten nicht vorstellen. Um die geht es aber auch nicht, sondern wenn, dann um die KSK-Kräfte [Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr, Anm. d. Red.]. Von der KSK weiß keiner, was sie eigentlich macht. Da fordere ich als Abgeordnete endlich mehr Transparenz von der Regierung.