„Fortschritt für den Norden“

GESCHICHTE Eine Studie über den „bösen Bischof Gerhard“ bekommt den halben Heimatpreis

■ 37, promoviert am Geschichtsinstitut der Uni Bremen im Rahmen der mit Exzellenzmitteln geförderten Creative Unit „Homo debilis. Dis/ability in der Vormoderne“.

taz: Herr Wieselhuber, für Ihre Studie über Bischof Gerhard II. bekommen Sie heute den – dieses Jahr zweigeteilten – Bremer Preis für Heimatforschung. Aus Sicht der Bevölkerung war Gerhard nicht gerade eine positive Figur, oder?

Christoph Wieselhuber: Zu diesem Negativbild wollte ich einen Kontrapunkt setzen. Bischof Gerhard wird ja oft zum „Bauernschlächter der Stedinger“ stilisiert. Dabei übersieht man jedoch, welche wichtigen Beiträge er zur wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung Bremens und des Umlandes leistete.

Welche waren das?

Zum Beispiel die Gründung des Zisterzienserinnen-Klosters Lilienthal. Aber auch in der Stadt hat er Einrichtungen für Frauen gefördert. Er ermöglichte den Bau von zwei Beginenhäusern, in denen Frauen einen religiösen Lebensstil pflegen konnten, ohne Nonnen werden zu müssen. Für norddeutsche Verhältnisse waren diese Gründungen sehr fortschrittlich.

Wollten Sie dem Bild des „Bauernschlächters“ auch deswegen etwas entgegensetzen, weil dieser Topos im „Dritten Reich“ so häufig ausgeschlachtet wurde?

Auch in der DDR wurden gern Dissertationen über die Stedinger und deren Bauernrepublik geschrieben. Und es gab dort Jugendromane, die die Bauern als frühe Kommunisten feierten. Insofern gibt es vielfältige Vereinnahmungen.

Könnte man Gerhard nicht auch als frühen Demokraten vereinnahmen? Immerhin setzte er durch, dass sich der Rat bei Todesfällen nicht mehr selbst ergänzte, sondern jährlich neu gewählt wurde.

Das war eher den Machtinteressen des Bischofs geschuldet. Er wollte den Rat mit dieser Neuregelung schwächen. Eine kontinuierliche Politik gegen den Erzbischof war durch diesen häufigen Wechsel nicht mehr möglich.

Es gibt ja auch unfreiwillige Demokraten…

Eindeutiger sind Gerhards Verdienste um die gotische Ausgestaltung des Doms oder die bis heute gültige Einteilung der Bremer Kirchspiele. Durch die Bevölkerungszunahme in Bremen waren die seelsorgerischen Tätigkeiten derartig ins Hintertreffen geraten, dass der Rat sogar in Rom Beschwerde geführt hatte.

INTERVIEW: HENNING BLEYL

Preisverleihung: 17 Uhr, Staatsarchiv. Die zweite Preishälfte geht an Hans-Nikolaus Schümann für dessen Chronik des Walfangs an der Weser (1653 - 1872)