Wohnzimmerlabel mit Gutfühlcharakter

In Hannes Langners kleiner Plattenfirma muss nichts funktionieren. Bei Records & Me ist der Terminus „Pop“ nichts Böses und „Indie“ nicht nur eine leere Hülle, ein Musikstil, sondern eben auch Attitüde. Ein Label ohne Angestellte, ein Label unter Freunden

Der Anfang klingt wie schmückendes Beiwerk. Wie eine Anekdote, die Freitagabends in einer Kneipe die Runde macht. Doch diese Geschichte hinterlässt einfach ein zu gutes Gefühl, als dass man sie nicht glauben möchte: Da ist zum einen die dänische Band Cartridge, die sich vor einigen Jahren voller Enthusiasmus aus Kopenhagen gen Süden aufmachte. Ganz bestimmt nicht um den Rock-Olymp – welch garstiger Ort – zu erklimmen. Vielmehr, um in Kleinstclubs von der Größe eines begehbaren Kleiderschranks davon zu berichten, dass gefällige Popmusik nicht per se aus England kommen muss.

Zu jener Zeit befand sich Hannes Langner gerade auf der Suche nach dem Schlüssel, um dem Labyrinth „Generation Praktikum“ zu entfliehen. Was sollte kommen? Roadiejob? Studium? Noch ein Praktikum? Mit Anfang 20 hat man Träume… Das Schicksal wollte es anders: Eine Autopanne von Cartridge in Hamburg – nein, sie waren nicht wirklich weit gekommen – und andere Zufälle führten Hannes und die vier jungen Dänen zueinander. Überschwänglich spricht Hannes heute über die erste Begegnung mit der Musik von Cartridge: „Ich hörte die CD rauf und runter und war echt baff! Ich spielte sie Freunden vor und alle waren begeistert, nein, viel mehr als das!“ Was lag also näher, als den Sprung ins „Haifischbecken Musikindustrie“ zu wagen und eine eigene Plattenfirma zu gründen. Referenzen? Zeugnisse? Skills? Plötzlich ging es auch auch ohne. Die Praktikantenrolle wurde abgestreift und „Do it yourself“ in ganz großen Lettern an die Kaffeekanne gepinnt.

Folgender Dialog zwischen Hannes Langner und der Band Cartridge hätte sich damals zutragen können: „Ich hab gestern eure CD gehört und gründe jetzt eine Schallplattenfirma. Seid ihr dabei?“ „Äh, ja, äh, o.k.!“ Letztlich war es eine E-Mail, in der Hannes die Band von seinem charmant-naiven Konzept überzeugte und die den Startschuss für Records & Me gab. Und heute spielen Cartridge ausverkaufte Clubgigs, auf dem Roskilde-Festival und können sich vor Lobeshymnen der Musik-Presse kaum mehr retten. Doch bei Cartridge blieb es nicht. Die Resonanz auf dieses erste Lebenszeichen von Records & Me war einfach viel zu groß, als dass Hannes hätte einfach alles niederlegen können. So veröffentlichte er weitere Alben, mitunter wahre Indie-Perlen, wie die LP des Hamburger Singer/Songwriters ClickClickDecker oder die CD der Frankfurter Band Like A Stuntman. Demnächst erscheint gar das Album der Band Irving aus Los Angeles.

In den Nachwehen der so oft rezitierten Krise der Musikindustrie gegründet, scheint Records & Me wieder einmal eines jener Labels zu sein, das viele Popkomm-Podiumsdiskussionen um das Ende der Tonträger widerlegt. Hannes Langner macht einfach vieles richtig. Er wahrt den Blick über den Tellerrand, um nicht in einer Nische zu verkümmern. Doch er hat auch ein Gespür für den unprätentiösen und unaufdringlichen Auftritt, hier funktioniert niemand auf Abruf oder aufgrund von Promospielchen, bei Records & Me werden Bauchentscheidungen getroffen. Statt von Meetings, Powerpointpräsentationen oder gewinnbringenden Produkten, erzählt Hannes Langner von frickelnden Bands, von mitreißenden Konzerten und von einem längst vergessenen „Do It Yourself“-Ethos, der jedem Produktmanager der Global Player-Musikindustrie wochenlange Kopfschmerze bereiten würde: „Eigentlich haben die Bands bei mir mehr zu sagen als ich“, sagt Hannes. „Ich veröffentliche zwar die Tonträger der Bands, doch die Entscheidung, in welcher Form die Musik erscheint, ob als 12“-Schallplatte, als 10“-Schallplatte, als CD, mit welchem Cover überlasse ich den Künstlern.“ Das persönliche Verhältnis, die Vertrauensbasis ist bei einem „Wohnzimmerlabel“ ein völlig anderes als bei Sony, Universal und den anderen üblichen Verdächtigen im „Business“. Auch wenn Hannes Langner sein Büro wirklich in seinem Wohnzimmer hat, als reines Hobby würde der 25-Jährige sein Label nicht mehr bezeichnen. Mindestens sechs Tage in der Woche verbringt er mit Labelarbeit, mit Booking, Bandbetreuung, Promoarbeit.

Und selbst wenn er mal nächtelang CDs brennen muss, ist die Anfangseuphorie nicht verflogen. Im Gegenteil: Hannes Langner setzt vieles auf die Records & Me-Karte. Er hat inzwischen mit Rasmus Engler, dem Schlagzeuger der Band Das Bierbeben, einen Freund als weiteren Mitarbeiter gewonnen und plant ab Januar mit der „Records & Me-Kantine“ einen wöchentlichen Abend, an dem sich dann labeleigene und -fremde Bands präsentieren werden. Einen Vorgeschmack darauf gibt es am Donnerstag in der Astra Stube in Hamburg zu hören, wenn Like A Stuntman eines ihrer raren Konzerte spielen. ANDREAS BOCK

Like a Stuntman spielt am 19. 10. um 21 Uhr in der Astra Stube in Hamburg