Das Abendblatt wird hyperlokal

BLOGS Neu ist die Idee nicht: Ab Januar werden Leserreporter die Redaktion des Hamburger Abendblatts verstärken. Mit Notebooks und Smartphones ausgerüstet sollen sie aus ihrem Viertel berichten

„Alle haben uns den Tod vorausgesagt. Stattdessen konnten wir die Zugriffszahlen um 20 Prozent steigern“

OLIVER SCHIRG, ABENDBLATT

Wer Leserreporter hört, denkt vermutlich zuerst an die Bild-Zeitung. Chefredakteur Kai Diekmann rief 2006 seine Leser dazu auf, unter dem Projektnamen „Bild-Leserreporter 1414“ Schnappschüsse und Videoclips aus ihrer Umgebung einzuschicken.

Auch das Abendblatt will Leserreporter, aber so unkontrolliert wie bei Bild soll es nicht ablaufen: Vielmehr greift Abendblatt-Chefredakteur Claus Strunz einen Trend auf, der derzeit den amerikanischen Lokaljournalismus aufwirbelt: „Hyperlocalism“. Nicht die Stadt ist die Zielgruppe, sondern der Stadtteil, das Viertel, der eigene Kiez. Nachrichten sollen bis auf die Nachbarschaft heruntergebrochen werden. Die Idee dahinter: Mich interessiert nur das, was mich wirklich betrifft. Und was ist relevanter für jeden Einzelnen, als das Stückchen Stadt, in dem er lebt und arbeitet? Für Branchenexperten liegt im Hyperlokalen die einzige Chance für Lokaljournalismus im Web.

Vorreiter ist das US-Projekt Everyblock. 2007 gestartet, ist es mittlerweile für 16 Städte verfügbar. Everyblock arbeitet allerdings nicht journalistisch. Der Dienst sammelt Daten aus unterschiedlichsten Quellen ein. Das Ergebnis ist ein Mix aus behördlichen Ankündigungen, Immobilieninseraten, von Schulbewertungen bis hin zum Polizeiticker.

Darin liegt der große Unterschied zum Online-Projekt aus dem Hause Springer: Everyblock aggregiert seine Informationen aus Bilderportalen, Behördenwebseiten, Zeitungen und Blogs – Informationen also, die frei zugänglich sind. So offenherzig wird das Springer-Portal mit seinen Bezahlschranken wohl kaum sein.

Für Chefredakteur Strunz sind die Hamburg-Blogs vor allem eine Möglichkeit, sein Online-Portal interessanter zu machen. Denn seit einem Jahr sind weite Teile des Angebots nur gegen Bezahlung zugänglich. Die Branche prognostizierte den schnellen Untergang. Doch der blieb aus. „Alle haben uns den Tod vorausgesagt. Stattdessen konnten wir die Zugriffszahlen im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent steigern und erreichen heute mit rund 7,3 Millionen Visits den höchsten Wert, den wir je hatten“, sagte Abendblatt-Online-Chef Oliver Schirg dem Branchendienst Horizont.

Jetzt sucht man beim Springer-Verlag nach Möglichkeiten, das Angebot noch attraktiver zu machen. Wie viele User bloggen, worüber sie berichten werden und ob das Angebot nur für zahlende Kunden zugänglich ist, wollte das Abendblatt auf Anfrage noch nicht verraten. FELIX DISSELHOFF