Prozess gegen Gaddafis Söhne beginnt

LIBYEN Saif al-Islam, Saadi sowie 37 Vertrauten des ehemaligen Machthabers werden Kriegsverbrechen und Korruption zur Last gelegt. Übergangsregierungschef al-Thinni tritt nach einer Bedrohung zurück

AUS TRIPOLIS MIRCO KEILBERTH

Fast drei Jahre nach dem Sturz von Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi hat am Montag das Gerichtsverfahren gegen seine Söhne, Saadi und Saif al-Islam Gaddafi, begonnen. Zusammen mit 37 weiteren Vertretern des ehemaligen Regimes werden ihnen Kriegsverbrechen und Korruption vorgeworfen. In kurz geschorenen Haaren und Sträflingsanzügen und hinter Gittern in den Gerichtssälen hörten die Gefangenen stumm dem Verlesen der Anklageschriften zu. Die beiden Gaddafi-Söhne waren nicht anwesend.

Das libysche Justizministerium hatte sich in den vergangenen Monaten geweigert, die Verfahren gegen Saif al-Islam und den ebenfalls angeklagten ehemaligen Geheimdienstchef Abdullah al-Senussi an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Hag zu übergeben, der zu Beginn des Krieges angerufen worden war. Saif al-Islam wurde als Nachfolger seines Vaters gehandelt und im November 2011 in der libyschen Sahara von Gaddafi-Gegnern gefangen genommen. Wegen seiner Brandrede gegen die Aufständischen wurden ihm nach seiner Ergreifung drei Finger amputiert.

Saadi Gaddafi, der im politischen System des Gaddafi-Clans keine große Rolle spielte, gestand vergangene Woche im libyschen Fernsehen seine Mitwirkung bei einem Umsturzversuch und bat um Entschuldigung.

Hannan Salah von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in Libyen reagiert empört auf den Auftritt. „Das letzte Mal habe ich so etwas bei Beginn der Revolution vor drei Jahren gesehen, als das Regime angebliche Aufständische vor laufender Kamera zu Pseudo- Aussagen zwang. Das neue Libyen sollte auf Menschenrechten und demokratischen Werten aufgebaut werden und nicht auf Rache. Die Rechte des politischen Gegners gehören zu diesen universellen Werten dazu.“

Am Vorabend hatten die politischen Wirren im „neuen Libyen“ ein weiteres Opfer gefordert. Vor nicht einmal fünf Tagen war der Übergangspremier Abdullah al-Thinni vom Kongress im Amt bestätigt worden, als er sichtlich erschüttert am Sonntag seinen Rücktritt eingereichte. In der Nacht zuvor waren Bewaffnete vor sein Privathaus aufgetaucht und hatten seine Familie und Nachbarn mit Schüssen in Angst und Schrecken versetzt.

Nach dem Sturz des dem liberalen Lager zugeordneten Ali Seidan hofften die Islamisten, im ehemaligen Verteidigungsminister al-Thinni einen willfährigen Befehlsempfänger gefunden zu haben, lauteten die Kommentare vieler Zeitungen in Tripolis. Der 50-Jährige punktete jedoch durch einen Kompromiss mit der Föderalistenbewegung. Blockierte Häfen wurden wieder für den Ölexport geöffnet, was dem Wunsch weiter Teile der Bevölkerung entsprach.

„Als er auch noch die Institutionen stärken wollte, reichte es den Milizen“, kommentierte ein Journalist in Tripolis den Rücktritt al-Thinnis. Er war als Verteidigungsminister mit dem Versuch in Ungnade gefallen, die Armee auf zubauen.

„Das Vakuum in Libyen nutzt allen möglichen bewaffneten Gruppen. Aber es sind die Kommandeure des ehemaligen religiösen Widerstands gegen Gaddafi, die Regierung und Parlament ihren Willen aufzwingen“, meinte ein Analyst, der wie viele in Tripolis eine Entführung oder Verhaftung fürchtet.

Als wahren Grund für die Einschüchterung von al-Thinni sehen Aktivisten seine Weigerung, Vertreter des vorrevolutionären Widerstands als Innen- und Verteidigungsminister einzusetzen. Viele dieser Kämpfer sind Afghanistan-Veteranen und heute einflussreiche Strippenzieher des politischen Islam in Nordafrika.