Angst vor Islamisten radikalisiert Briten

Die Regierung von Tony Blair plant eine umfassende Überwachung muslimischer Gemeinschaften in Großbritannien. Seit der bekannte Labour-Politiker Jack Straw erstmals öffentlich die Verschleierung islamischer Frauen kritisiert hat, fallen die Tabus

von RALF SOTSCHECK

Britische Universitätsangestellte sollen „asiatisch aussehende und muslimische Studenten“ ausspionieren. Das britische Bildungsministerium hat Presseberichten zufolge Richtlinien aufgestellt, wonach die Dozenten dem Verfassungsschutz Meldung machen müssen, wenn sie vermuten, dass bestimmte Studenten islamischen Extremismus und Terrorakte gutheißen. Noch vor Jahresende sollen entsprechende Richtlinien an sämtliche britische Hochschulen verschickt werden.

In dem 18 Seiten umfassenden Papier erkennt die Regierung zwar an, dass Universitätsangestellte möglicherweise ungern „mit der Geheimpolizei zusammenarbeiten“ werden, aber sie glaubt, dass die Universitäten ein beliebtes Rekrutierungsfeld für Extremisten seien. Die islamischen Studentenorganisationen seien in den vergangenen Jahren zunehmend politisiert worden, heißt es in dem Dokument.

Vor allem Studenten, die neu an den Universitäten sind und Freunde suchen, können leicht in eine extremistische islamische Ideologie hineingesogen werden. Bereits radikalisierte Studenten nutzen den Campus, um Netzwerke aufzubauen, meint die Regierung. Die Dozenten sollen besonderes Augenmerk auf Redner haben, die von islamischen Studentenverbänden zu Veranstaltungen eingeladen werden. Bibliotheksangestellte sollen künftig überwachen, welche Websites „asiatische Studenten“ an den Uni-Computern aufrufen.

Neben der Bespitzelung muslimischer Studenten will die Staatssekretärin für die Kommunalverwaltungen, Ruth Kelly, die bei der Kabinettsumbildung im Sommer ihren Job als Bildungsministerin losgeworden war, angeblich auch eine „Landkarte des Extremismus“ erstellen. Sie sagte gestern, dass man Universitäten, Schulen und Moscheen, in denen junge Muslime einer Gehirnwäsche unterzogen werden, identifizieren müsse, um die „hasserfüllte Propaganda der Fanatiker aggressiv bekämpfen“ zu können.

Ausgelöst wurde die neuerliche Debatte um Integration und islamischen Extremismus durch den Unterhauspräsidenten und ehemaligen Außenminister Jack Straw, der gesagt hatte, er fühle sich unbehaglich, wenn muslimische Frauen verschleiert in seine Sprechstunde kämen. Er verlange von ihnen deshalb, den Schleier abzulegen. Dies hat eine in Großbritannien bisher beispiellose Diskussion um Schleier, Kopftücher und muslimische Bekleidung insgesamt ausgelöst. Vorgestern verbot das Krankenhaus der Universität Birmingham seinen Angestellten, im „Interesse der guten Kommunikation zwischen Medizinstudentinnen, ihren Kollegen und den Patienten“ einen Schleier zu tragen. Muslimische Frauen dürfen zwar auf dem Campus und bei Vorlesungen verschleiert sein, nicht jedoch „in der klinischen Umgebung von Krankenhäusern und Arztpraxen“.

Am Wochenende schaltete sich auch Staatssekretär Phil Woolas in die Diskussion ein. Er verlangte die Entlassung einer Hilfslehrerin, die sich geweigert hatte, ihren Schleier im Unterricht abzulegen. Die 24-jährige Aishah Azmi habe sich „in eine Lage manövriert, in der sie ihren Job nicht ausüben“ könne, sagte Woolas. Bereits voriges Jahr hatte das Imperial College in London den Studentinnen untersagt, Kopftücher zu tragen. Das Sicherheitspersonal wurde angewiesen, „unkenntliche Individuen“ vom Campus zu verweisen, falls sie sich weigerten, ihre Gesichter zu zeigen. Begründet wurde das damit, dass Patienten weniger Vertrauen zu Medizinern hätten, deren Gesicht sie nicht sehen können.