Studieren ohne Semesterferien

Als eines der ersten hat das Institut für Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität die neuen Studienabschlüsse Bachelor und Master eingeführt. Der Hochschulalltag hat sich seither radikal verändert. Studierende klagen über Stress

VON JÖRG MEYER

Christian Meier hat viel zu tun. In der Bibliothek des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Humboldt-Universität herrscht reges Treiben. Dabei hat das Wintersemester noch gar nicht richtig begonnen. „Früher war es um diese Zeit hier noch sehr ruhig“, sagt Bibliotheksmitarbeiter Meier, „jetzt sind die Studis ständig da.“ Ein Unterschied zwischen Semester und vorlesungsfreier Zeit sei kaum noch erkennbar. „Insgesamt studieren die jetzt straighter“, sagt Meier, „die müssen ja auch viel mehr machen.“

Schuld an der Fleißoffensive der Berliner Studierenden sind die europäischen Bildungsminister. Die beschlossen 1999 die Einführung europaweit einheitlicher Abschlüsse. Bis zum Wintersemester 2007/08 will die Humboldt-Universität alle Studiengänge auf das zweigliedrige System Bachelor (BA) und Master (MA) (siehe Kasten) umgestellt haben. Am Institut für Sozialwissenschaften wurden BA und MA schon im Jahr 2002 eingeführt. Es war damit eines der ersten an der Humboldt-Uni.

Nicht alle Studierenden sind über dieses Engagement begeistert. „Die Leute können sich nicht mehr aussuchen, was sie interessiert“, klagt Florian B., „das Studium ist viel verschulter.“ „Für mich war das anfangs ganz gut, um wieder ins Lernen reinzukommen“, erzählt hingegen Steffi K. Anders als andere Studienanfänger hatte sie allerdings auch schon eine Ausbildung und sechs Jahre Berufserfahrung hinter sich. Verglichen mit FreundInnen, die auf Diplom studieren, sei sie aber schon „ans Eingemachte“ gegangen. „Ein guter Student macht 60 Stunden die Woche“, habe ein Dozent bei ihrer Erstsemestereinführung gesagt. Aber Steffi K. wollte einen schnellen Abschluss. „Ich bin 27 Jahre alt. Mit 19 hätte ich das Diplom bevorzugt, weil man da einfach mehr Zeit hat“, sagt sie. Nebenbei arbeiten könne sie nicht, obwohl sie müsste. Dafür reiche die Zeit nicht, sagt sie, und entschwindet in den Lesesaal.

Zurück bleibt eine Gruppe von Studienanfängern. Eine Einführungsveranstaltung hat gerade Pause. Doch noch bevor die Zigaretten aufgeraucht sind, steckt eine Dozentin ihren Kopf durch die Tür und ruft: „Die grüne Gruppe kann jetzt wieder reinkommen.“ Alles eilt zurück in den Seminarraum.

Drei Stockwerke höher sitzt Klaus Eder in seinem Büro. Der Soziologe leitet seit 1994 den Lehrstuhl für Vergleichende Strukturanalyse. „Die Zeiten der großen akademischen Freiheit, die einigen ein wundervolles Studium ermöglicht hat, aber auch viele das Leben gekostet hat, sind vorbei“, meint der Professor. Die Einführung des BA sei ein permanenter Lernprozess, nicht nur für die Lernenden. Auch die Lehrenden mussten umdenken. Weil im Bachelor jedes Modul am Ende eine Prüfung habe, anstelle der einen Vordiplomprüfung am Ende des bisherigen Grundstudiums, sei die Prüfungssituation „teilweise ein bisschen wild“ geworden. „So gesehen war es eine Selbstbestrafung der Professoren, das so einzuführen“, erzählt Eder und lacht. Aber nach vielen Anpassungen gebe es nun eine Studienordnung, die dem, was die endgültige Ordnung sein soll, „sehr nahe komme“. Trotz aller Veränderungen sei ein kritisches Studium noch möglich: „Meine Lehrinhalte sind so kritisch wie eh und je.“ Die Freiräume seien ein wenig enger geworden, gibt Eder zu, aber nach wie vor „sind diejenigen, die das Ding packen, zu wunderbar kritischen Analysen in der Lage“.

Die Betreuungssituation habe sich durch die Reform nicht sonderlich verbessert – weil kein Geld da sei. „Man kann entweder die Studentenzahl reduzieren, damit sie passt“, erklärt Eder. Oder man beschäftigt Dozenten von außen ohne Bezahlung. „Damit erzeugt man eine Form der Ausbeutung des Mittelbaus.“

Uwe Jens Nagel nennt noch eine dritte Möglichkeit. Man könne Tutoren aus höheren Semestern zur Betreuung der unteren Semester qualifizieren, meint der HU-Vizepräsident für Studium und Internationales. „Dafür gibt es dann Studienpunkte.“ Beteiligung an der Lehre würde so den eigenen Studienabschluss befördern.

Die vielfach geäußerte Kritik an der Verschulung der Uni weist Nagel zurück. Bei den Agrarwissenschaften seien zum Beispiel 40 Prozent des BA-Studiums frei wählbar. Es gehe in erster Linie um Studierbarkeit. Ein Problem mit der Akzeptanz des neuen Systems habe es bei den Studierenden dieses Studiengangs zudem nie gegeben.

Im studentisch selbstverwalteten Café Krähenfuß klingt das ganz anders. „Von sechs Veranstaltungen bei uns wird eine von Profs betreut, der Rest von Leuten aus dem Graduiertenkolleg, die das als unbezahlte Mehrarbeit machen müssen“, erzählt René Held bei einem Kaffee. Er studiert Sozialwissenschaften und arbeitet beim ReferentInnenRat der HU. Ein Problem sei auch, dass in der Wirtschaft keine Nachfrage nach Bachelor-AbsolventInnen bestehe. „In den nächsten drei vier Jahren kommen ja noch die Magister und Diplomanden nach“, meint Held.

Eine erste Evaluation des neuen Studienmodells findet derzeit statt – nicht von der Hochschulleitung, sondern von einer Studentengruppe. Rund 3.000 Fragebögen haben KommilitonInnen ausgefüllt. „Genaue Ergebnisse haben wir Ende November“, meint Peter Hartig, studentischer Vertreter der „Offenen Linken“ im Akademischen Senat der HU, die die Evaluation mit initiiert hat. Etwas hat er jedoch beim ersten Überblick auf die Antworten festgestellt: „Es gibt kaum Leute, die im Bachelor eine Berufsqualifizierung sehen. Das geht quer durch alle Fächer.“