Millionengrab für die Ems

UMWELT Ein Gutachten der Uni Kiel bringt keine Lösung zur Rettung des Flusses. Die Ideen sind teuer, gefährlich oder politisch unmöglich. An die Ursache traut sich keiner ran

Die Ems ist für Fische wegen Sauerstoffmangels geschlossen

VON THOMAS SCHUMACHER

Um die Pfeiler der Jan-Berghaus-Brücke im ostfriesischen Leer schwappt eine grün-bräunliche Brühe. Die Ems, der ehemals fischreichste Fluss Norddeutschlands erstickt im Schlick. Schaufelten 1960 Ems-Anlieger massenhaft Aale mit „Pannen“ (Kohleschüppen) aus den Sielen, bekommen heute selbst die Profis der Anglervereine selten einen müden, verdreckten Fisch an die Angel. „Man mag sie gar essen“, stöhnt ein passionierter Aalräucherer aus Ditzumverlaat an der Mündung der Ems in die Nordsee. Wegen Sauerstoffmangels ist die Ems für Fische geschlossen.

Ideen zur Rettung der Ems gab es viele. Ein Gutachten der Uni Kiel sollte die Vorschläge abwägen. Die „Lenkungsgruppe Ems“, bestehend aus Regierung, Kommunen, Umweltverbänden und Wirtschaft hatte das Gutachten in Auftrag gegeben. Anfang März präsentierte die Uni ihr Papier staatlichen Experten. Im Mai soll die Lenkungsgruppe entscheiden, wie es weitergeht.

„Drei Vorschläge favorisiert das Kieler Gutachten“, sagt Inka Burow, Sprecherin des niedersächsischen Umweltministeriums. Das sind: eine Sohlschwelle als Schlickbremse vor dem Gandersumer Emsstauwerk, einen neuen Stauplan für das Stauwerk und Überschwemmungspolder.

Polder sind ein rotes Tuch

Überschwemmungspolder treiben die Landwirte auf die Barrikaden. „Das ist eine Katastrophe“, sagt Arnold Venema, Landwirt aus Jemgum. „Wir haben schon jetzt keine Weiden mehr, wo wir unsere Kühe ausbringen können.“ In Jemgum werden die größten Gaskavernen Deutschlands gebaut, das treibt die Grundstückspreise in Höhe. „Außerdem müssen nach EU-Recht immer mehr Flächen als Naturschutzgebiete ausgewiesen werden“, sagt Venema. Und dann hätten sie noch mit den Wildgänsen zu kämpfen, die die Saat fressen.

Der Landrat in Leer, Bernhard Bramlage (SPD), ist Mitglied in der Lenkungsgruppe Ems, die über Lösungen der Emsrettung entscheidet. „Noch mehr Flächenverluste sind politisch nicht umsetzbar“, sagt er mit Blick auf die Landwirte. Der Kauf von Flächen in der vom Gutachten geforderten Größe von 650 Hektar würde Bund und Land viele Millionen Euro kosten. „Aber die Überlaufbecken würden nichts nutzen“, sagt ein Experte, der ähnliche Becken betreut hat: „Der Schlick wird nicht verringert, sondern nur verlagert.“

Den Schlickeintrag durch das Sperrwerk bei Gandersum an der Emsmündung zu minimieren, ist schon einmal versucht worden – mit schlimmen Folgen. Die verstärkte Strömung nach Öffnung der Sperre riss einen Schiffsführungspfahl aus dem Grund. Der Schaden kostete mehrere Millionen Euro.

Die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSD) hat eine Sohlschwelle favorisiert. Diese Lösung bietet auch die Uni Kiel an. Dabei würde eine 400 Meter lange Betonschwelle vor dem Sperrwerk in Gandersum in die Ems gebaut. Kosten, geschätzt, nicht unter 100 Millionen Euro, laut WSD. „Das ist technisch gar nicht durchführbar“, meint ein Wasserbauer aus der Behörde. „Alle denken, wenn genug Geld fließt, dann würde das Problem gelöst“, sagt er. „An die Ursachen des Schlickeintrages traut sich aber keiner heran.“

Seit 1970 wird der Fluss für die Papenburger Meyer-Werft tiefer gelegt. Deren Luxusdampfer werden immer größer. Für sie Werft wurde die Ems begradigt, vertieft und regelmäßig ausgebaggert. „Man hat in den Fluss eingegriffen und ihn zerstört“, sagt Rewert Wurps, ehemaliger Wasserbauer und technischer Chef des Emder Hafens.

Gutachten cancelt Kanal

An technischen Ideen für die Rettung der Ems mangelt es nicht. Insbesondere seitdem die Umweltverbände WWF, BUND und Nabu zusammen mit der Meyer-Werft ein Lösung finden wollen. Sie schlugen einen Kanal zwischen Papenburg und Leer vor. Die ökologischen Probleme dieser Maßnahme interessierte die Umweltschützer nicht.

Das Kieler Gutachten cancelt den Kanal. Er wäre zu teuer. Auch ein anderes Milliardenprojekt wird in dem Gutachten schlecht bewertet. Eine völlige Sperre der Ems zur Nordsee. Ein Bauwerk wie beim Ijsselmeer in den Niederlanden wäre unbezahlbar, sagt das Gutachten.

Gestrichen wurde auch die Verlegung des Sperrwerkes bei Herbrum. Hier wird die Nordsee-Tide etwa 40 Kilometer im Binnenland gestoppt. Eine schottische Universität hatte diesen Vorschlag gemacht, um die Flut weiter ins Binnenland zu verlängern und der Ebbe mehr Zeit zu geben, den Schlick aus dem Fluss zu räumen. Die Kieler Uni sagt, diese Lösung wäre nicht effektiv.

Zweimal in 24 Stunden spült die Nordsee-Flut Schlick in die Ems. Die Ebbe ist zu schwach und zu kurz, um die Sedimente wieder in die Nordsee zu transportieren. Seit 2000 wurden etwa 160 Millionen Kubikmeter Schlick und Erde aus der Ems gebaggert. Doch man sieht sich zweimal: „Der Schlick wird zum Teil in der Nordsee verklappt und schwappt mit der nächsten Flut zurück“, sagt der Kapitän eines Baggerschiffes.